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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
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wieder. Ich setze mich ans Pult und vergrabe mein Haupt in den Händen. Wie sollen wir das bloß schaffen?
    «Voll laut, wa?», sagt Ömür mitfühlend, und: «Kriegen Sie eigentlich keine Kopfschmerzen bei dem Krach?»
    «Nee», antworte ich kriegerisch, «zum Glück höre ich nicht mehr viel.»
    Dann verschaffe ich mir Ruhe. So geht das ja überhaupt nicht! Und eigentlich hätten wir jetzt Ethik!
    «Frl. Krise, ich will doch Polizei werden», lamentiert Gülten. «Haben Sie nicht Zettel für Polizei?»
    Ich verweise auf einen Veranstaltungshinweis im Internet für eventuelle Polizei-Interessenten, aber Gülten hört schon gar nicht mehr zu.
    «Können wir Freitag Abschied feiern, Jenny geht doch andere Schule?», fragt sie.
    Jetzt beginnt das Geschrei gleich wieder.
    «Ja! Feiern!»
    «Jenny, wo gehst du?»
    «Wir bringen Essen mit!», usw. usw.
    Das Thema Praktikum ist auf der Stelle tot. Was soll ich sagen? Die Ethikstunde bleibt bis zum Ende gänzlich unethisch.
    Wenigstens meine Deutschstunde will ich jetzt noch retten. Und siehe da! Obwohl wir die neunte Stunde haben, klappt es auch ganz gut. Allerdings machen sich langsam Müdigkeitserscheinungen breit. Sam gähnt herzzerreißend und legt sich schon mal ein bisschen auf dem Tisch ab. Esra hat etwas im Auge und muss «Klo gehen». Hanna hat mal wieder keine Arbeitsunterlagen dabei, und Musti kämpft sich durch irgendwelche ominösen Blätterberge. Aber die anderen arbeiten tapfer mit. Wir kommen voran.
    Gülten guckt zwischendurch aus dem Fenster und beginnt dann mit dem falschen Text.
    «Mensch, Gülten», sage ich entkräftet, «wir sind doch schon weiter gearbeitet!»
    Alle kreischen auf. «Voll falsch! Wir sind weiter gearbeitet!»
    Man ist entzückt. Frl. Krise spricht «voll falsch» Deutsch! Jäckpott! Mit dieser Entwicklung kann man als Schüler doch wirklich zufrieden sein.
    «Ja, ich kann auch nicht mehr», sage ich schwächlich. «Ihr seid so was von anstrengend, und außerdem, wenn ich den ganzen Tag falsches Deutsch höre …»
    «Macht nichts», ruft Nesrin generös. «Ist voll süß das!»
    «Lass ma Schluss machen!» Emre klappt seine Mappe zu. «Mein Gehirn wackelt schon!»
    Sieben Minuten vor vier. Wir räumen noch ein bisschen auf, stellen die Stühle hoch und trudeln aus der Klasse.
    «Bis morgen!», schreit mir Nesrin auf der Treppe ins Ohr und fällt mir abschiednehmend um den Hals.
    «Frl. Krise, Sie sind voll unsere Ghetto-Oma, voll süß, ich schwöre! Vallah!»
    Sind Ghetto-Omas eigentlich alle taub? Gut, dass es bald Osterferien gibt …

Das volle Programm
    Mal wieder in der achten Stunde Ethik. Höchststrafe, so spät. In diesem Fach sind wir nicht gerade sehr philosophisch (Rahmenplan – du kennst meine Klasse nicht!), sondern behandeln ganz und gar handfeste Themen. Erst neulich ging es zum Beispiel um Recht und Gesetz und unter anderem auch um Selbstjustiz.
    Als Erstes gebe ich eine kleine persönliche Erklärung ab, denn ich habe das dringende Bedürfnis, mich zu der Kommandoaktion der Amis gestern zu äußern. Irgendwie kollidiert das doch mit allem, was man den Schülern in Ethik vermitteln will. Sinngemäß sage ich, dass Osama bin Laden ein schlechter Mensch und Massenmörder war, dass ich diese Tötung durch ein Abknallkommando aber trotzdem nicht richtig fände. Man hätte ihn vor ein Gericht stellen müssen!
    Alle hören schweigend zu. Ja, wirklich! Schweigend.
    Dann sagt Nesrin: «Mein Vater hat mir gestern Abend erzählt, der hat unseren Glauben beschmutzt. Wir Muslime dürfen nicht töten!»
    Ömür meint: «Was wollen Sie, Frl. Krise? Ist doch besser, dass die Amerikaner ihn erschossen haben. Er wusste ja nicht, dass er erschossen wird, da ist Erschießen menschlicher als lange auf Todesstrafe warten.»
    Aynur ist wie ich der Ansicht, er hätte eigentlich vor ein Gericht gehört, aber so wäre es doch auch ganz praktisch. Außerdem, ich wüsste wohl nicht, dass das alles ein Fake gewesen wäre? Schließlich gäbe es keine Fotos! «Oder haben Sie Fotos gesehen?», fragt sie inquisitorisch.
    Ehe ich antworten kann, legt Esra ihren Taschenspiegel mal ausnahmsweise beiseite und verteidigt mich: «Lass ma jetzt! Frl. Krise ist immer korrekt. Der ist bestimmt tot, wenn sie sagt. Aber der interessiert mich überhaupt nicht!»
    Alle nicken. Ich habe irgendwie das Gefühl, es ist ihnen peinlich, dass so ein Mensch sich wie sie Muslim genannt hat. Mal lieber nicht mehr davon reden.
    Gut, wir verlassen also vorerst dieses

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