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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
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inzwischen verkrümelt. So lange Berichte sind nicht ihr Ding.
    «Morgen steht es in der Zeitung», sagt Emre. «Ich kriege E-Mail, wo überall, ich bringe mit!»
    «Mensch, Karl», sage ich und setze mich an den abgefressenen, nassen Parktisch auf die olle Bank. Der Wind pfeift mir um die Ohren. Ich habe mir schon Tempotuchfetzen in die Ohren gestopft. Ein Ball knallt gefährlich nahe an uns vorbei. Die Plastikbecher sind inzwischen samt Inhalt umgekippt, und einige fliegen im hohen Bogen weg. «Wer hätte das gedacht? Dass es einmal so weit kommen würde! Wir beide sitzen hier den ganzen Morgen in diesem abgeranzten Park, und unsere Schüler verlustieren sich mit Frau Merkel auf Pressekonferenzen.»
    Karl kann nicht mehr antworten, er rennt gerade los. Einer muss die Becher ja wieder aufheben.

Schülerwort und Lehrerkuli
    Was so alles in der letzten Woche gesagt und geschrieben wurde …
    Im achten Schuljahr geht es in Deutsch um die Rechtschreibung. In einer Übung kommt das Wort «Kreißsaal» vor. Gül weist mich darauf hin, dass das doch wohl falsch geschrieben sei: mit ß!
    «Nein, das ist richtig so», sage ich und frage alle: «Kreißsaal! Wer geht denn in einen Kreißsaal?»
    Schweigen.
    Nur Jana meldet sich. «Frau Merkel», behauptet sie.
    Ich muss einen kleinen Lachanfall unterdrücken.
    «Wie kommst du denn ausgerechnet auf die?»
    «Die ist doch immer in so einem großen runden Saal mit den anderen Politikern», meint Jana ernsthaft.

    Biologie: Ich nehme Erkan dran, der schon wieder völlig übermüdet seinen Kopf auf dem Tisch abgelegt hat.
    Erkan entrüstet sich: «Woher soll ich das wissen? Ich höre nicht mal zu!»

    Kunstunterricht: Ich frage Marvin aus der zehnten Klasse nach seinem Bild. Marvin weiß nicht, wo es ist.
    «Hast du es mir abgegeben?», frage ich nach.
    Marvin weiß es nicht.
    «Oder hast du es mit nach Hause genommen?»
    Marvin weiß es nicht.
    «Hast du es vielleicht aus Versehen in den Trockenständer gelegt?», überlege ich laut. (Es handelt sich um eine Kreidezeichnung!)
    Marvin sieht mich leicht geschockt an.
    «Was Ständer?», sagt er. «Ich hatte nix Unanständiges gemalt!»

    Vertretungsunterricht in der Sieben, Englisch. Die Schüler sollen Begriffe aus dem Wörterbuch heraussuchen, die sie brauchen oder interessieren.
    «Frl. Krise, der Patrick neben mir sucht nur versaute Ausdrücke raus», petzt die kleine Eda.
    Ich gucke auf sein Blatt: «Holunder – elde r» steht da ganz harmlos.
    «Na, das ist ja ein ganz schlimmer Ausdruck», sage ich. «Holunder, das ist doch ein Busch!»
    Patrick sieht mich an wie die Kuh, wenn’s donnert.
    «Was hast du denn gesucht, Patrick?», frage ich.
    Patrick schluckt und sagt: «Ich wollte … ähem … äh … ähem … nachgucken: ‹Einen runterholen› … dann hab ich aber bloß dies Holrunder gefunden.»

Die gute alte Zeit
    Nach der Mittagspause ist Klassenstunde. Karl hat eine Überraschung vorbereitet. Er befördert mit Mustafa den DVD-Player aus dem Kunstsaal in den Klassenraum. Dann sehen wir uns die Überraschung an. Karl hat aus seinen Fotos vom Wandertag eine kleine Show mit allerlei Effekten und Musik gezaubert. Alle sind schwer begeistert und wollen die Show noch mal und noch mal und noch mal sehen. Auf einmal sind diese pubertären Widerborstlinge nette, fröhliche Kinder.
    «Voll schööööööööööön!» ist einhelliger Tenor.
    Genau solche Fotos werden sie sich in ein paar Jahren anschauen, denke ich, und von den herrlichen Schulzeiten schwärmen, von einst, als die Welt noch in Ordnung war … Wie meine ehemaligen Schüler, die andauernd uralte Schulfotos auf Facebook posten und wehmütige Kommentare dazu schreiben, à la:
    «Ach, die schöne Zeit damals!»
    «Einfach Traum, wisst ihr noch?»
    «Wir drei! Unsere beste Zeit!»
    «So king wird es nie wieder.»
    Das sind Originalzitate dieser uralten Vierundzwanzigjährigen! Bei dem Gedanken rührt es mich schon ein bisschen. Immer ist man so hin- und hergerissen zwischen Zuneigung und Verärgerung, denke ich, wenn unsere Kinder doch nur etwas stabiler wären.
    Dann eine Stunde Ethik. Die Stimmung bleibt milde, der Fotozauber wirkt noch ein bisschen nach.
    Danke, Karl!

Medienzauber
    «Ich setze heute im Unterricht Medchjen ein», nuschelte mein Bio-Kollege Weigel des Öfteren, und auf die entgeisterte Frage neuer Kollegen, was er mit denen zu tun gedächte und ob er keine Jungen in seinem Kurs hätte, schnauzte er: «MEDIEN! Nicht Mädchen.»
    Medien!

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