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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
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Moderner Unterricht schreit einfach nach Medien. Das lernte ich schon als Referendarin. Es stimmt, Medien machen sich sehr gut, auch in Prüfungsstunden; sie waren und sind aber ein Garant für Stress.
    Das fing damals beim Overheadprojektor an, was anderes gab es ja kaum. Zuerst einmal musste man überhaupt so ein Gerät auftreiben, denn diese Wunderwerke der Technik standen beileibe nicht in jedem Raum. Wenn man Pech hatte, war sowieso die Leuchtbirne kaputt, oder, noch schlimmer, sie knallte mitten im Unterricht durch. Selbstverständlich hatte man dann keine Ersatzbirne zur Hand, und der Hausmeister war krank.
    Gleich danach kam das Filmezeigen. Der Projektor war ein riesiges Ungetüm, in den man den Film umständlich über eine Unzahl von Rollen und Schlitzen einfädeln musste. Um dieses Gerät bedienen zu dürfen, machte jeder Referendar extra einen «Filmschein» in der Filmbildstelle. Dort holte man sich auch nachmittags, wenn man gerade mal nicht in den Kopiershop hastete oder die Bastelläden wegen eines Einkaufs für den Kunstunterricht durchforstete, die monströsen Filmrollen ab.
    Während die Schüler unter Getöse den Raum verdunkelten, versuchte ich in fliegender Hast, den Film einzufädeln. Denn es war so sicher wie das Amen in der Kirche, dass irgendein Spaßvogel in dem Moment, in dem alle Rollläden unten ankamen, sämtliche Lichter löschen würde. Im Laufe der Zeit lernte ich es, den Film komplett im Dunkeln einzulegen, was mir aber weder die besondere Bewunderung meiner undankbaren Schülerschaft noch eine Gehaltserhöhung einbrachte.
    Die ausgeliehenen Filme durfte man nur in zurückgespultem Zustand zurückgeben. Das diente uns zum Vorwand, den Film am Ende der Stunde noch einmal in rasender Geschwindigkeit rückwärts abzuspielen. Ein Küken, das zurück ins Ei taumelte, Seelöwen, denen die Fische aus dem Maul sprangen oder Pinguine, die rückwärts aus dem Meer auf die Klippen hopsten – ach, es gab einfach nichts Schöneres. Die Schüler liebten es.
    Dagegen sieht jeder supermoderne medienpädagogische Auftritt heute direkt blass aus.

Meine armen Ohren
    «Verkäuferin ist doch besser als Einzelhandelsdingsfrau, oder, Frl. Krise?»
    «Soll ich Hotelfachmann?»
    «Ich will Koch! Nein, Bäcker! Nein, beides!»
    Mir klingeln voll die Ohren!
    Wir haben erneut Flyer von dem Schnupperpraxis-Projekt bekommen, an dem Emre und Ömür teilgenommen haben, und alle wollen jetzt mitmachen. Sie schreien vor Begeisterung und grabschen mir die postkartenartigen Zettel aus den Händen. Nur Erkan will keinen Flyer. «Ich mache Realschulprüfung», sagt er, «dann werd ich was anderes!»
    «Hallo? Du bist erst im achten Schuljahr», erinnere ich ihn. Er ist sitzengeblieben, wollte aber unsere Klasse nicht verlassen und hat inzwischen komplett verdrängt, dass er noch ein Jahr zurückhängt.
    «Wie jetzt?» Erkan sieht mich verdattert an. «Sitzengeblieben? Iiiiich?»
    Oh, heilige Vergesslichkeit! Ich will ihm das nicht mehr erklären, Aynur übernimmt das. Sie kann das gut, denn sie ist in derselben Situation.
    Emre gibt inzwischen nach allen Seiten hin gute Ratschläge. Er ist voll der Praktikumsprofi, und als er eine unbedeutende Frage von Gülten nicht gleich beantworten kann, zückt er geschäftsmäßig sein Handy.
    «Nur mal Vanessa anrufen und fragen», sagt er und schielt zu mir.
    Vanessa ist eine der Leiterinnen des Projekts, und Emre ist mit ihr bereits auf Du und Du. Das mit dem Anrufen verhindere ich allerdings im letzten Moment. So weit kommt’s noch, dass wegen jedem Pipifax im Unterricht telefoniert wird. Wenn ich das erst mal einem Schüler erlaubt habe, kann ich gleich zu Beginn des Unterrichts Handys mit Flatrate austeilen.
    Die Mädchen sind völlig durch den Wind. Sie quietschen in den höchsten Tönen. Warum eigentlich?
    «Gehst du auch Bäcker, Hanna?», schreit Gülten quer durch die Klasse, und Hanna brüllt zurück: «Nein, Koch, aber wenn du Bäcker gehst, geh ich auch Bäcker!»
    «Geht lieber mit Koch!», mischt sich Aynur lautstark ein, die von Erkan abgelassen hat. («Du Spast! Weißt du nicht mehr, wie du durch Nachprüfung gefallen bist? Hässlichkeit!») Und schon wollen alle drei Koch gehen.
    Es kommt mir fast so vor, als ob ich kleinen Kindern zusähe, die gleich einen Kinder-Kaufladen eröffnen werden und vorher noch ein bisschen mit der Puppenküche spielen wollen. Ausbildungsreif? Oje! In einem Jahr sollen die so weit sein! Dieser Gedanke überfällt mich immer

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