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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
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er praktischerweise sämtliche Adressen und Telefonnummern unserer Schüler auswendig, er hat alle Verbindungen der Bus- und Bahnlinien im Kopf, weiß alles über die Sehenswürdigkeiten und die Geschichte unserer Stadt und ist auch noch intimer Kenner sämtlicher bedeutsamer Großbaustellen. An Wandertagen muss ich nicht mehr nervös um mich spähen und gestresst nach Wegen und Anschlüssen forschen, sondern kann mich gemütlich ans Ende unserer Truppe zurückfallen lassen und mit den Lahmen und Fußkranken hinterherschleichen. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, Baustellen zu besichtigen, aber seitdem ich Karl kenne, bin ich ein Fan von Bagger, Kran und Co.
    Unsere Schüler schätzen an Karl seinen Humor, seine Geduld und dass er sich auch in extremen Situationen nur mäßig aufregt.
    «Ich liebe diesen Mann», sagt Azzize. «Er ist der beste Mathe-Lehrer von alle, wa, Frl. Krise?»
    Ja, für dich, Azzize. Für mich ist er der beste Kollege, den’s gibt. Und da sieht man’s auch mal wieder: Die arrangierten Ehen müssen nicht unbedingt die schlechtesten sein.

Blues Teachers
    So, Ferien.
    Ich bin schlecht gelaunt.
    Sehr schlecht.
    Heute sanken wir auf den tiefsten Tiefpunkt des Schuljahrs. Unsere Klasse, ich glaube, es kam bisher schon zwischen den Zeilen durch, ist ja ziemlich extrem, und für die Zeugnisausgabe war nix Gutes zu erwarten.
    In der dritten Stunde – jetzt wird’s ernst – sind vierzehn von dreiundzwanzig Schülern und Schülerinnen da, die gemütlich zwischen acht Uhr (Unterrichtsbeginn) und halb zehn eingetrudelt sind. «Was Verspätung! Gibt doch nur Zeugnisse heute!»
    Gut, zwei Mädchen sind langzeiterkrankt und beurlaubt, fehlen aber immer noch sieben. Diese Schüler – von Tag zu Tag wurden es mehr – sind schon in die Ferien entwichen – ohne schulische Erlaubnis und jetzt auch ohne Zeugnis.
    Zwei Schülerinnen – Jenny und Mariam – haben ihr Mathe-Buch trotz vieler Erinnerungen und Mahnungen nicht abgegeben. Dann erhalten sie aber auch kein Zeugnis, denn erst muss das Buch her oder Geld für das Buch. Ist fies, aber wenn wir Lehrer nicht konsequent wären, könnten wir unsere Bücher abschreiben. «Kann ich doch nich dafür! Hab ich nicht mehr, das Buch! Ersetz ich nich! Was glauben Sie, wer Sie sind? Dann geh ich eben! Was interessiert mich das Zeugnis!» Jenny brüllt’s und haut die Tür ins Schloss, dass der Putz bröckelt.
    Turgut und Ali haben sich inzwischen an den Projektschulen angemeldet, sie wollen jetzt versuchen, da einen Schulabschluss zu machen, der auf normalem Wege bei uns nicht mehr zu schaffen wäre. Allerdings ist bislang ungewiss, ob sie angenommen werden. Und wenn, dann haben sie eine dreimonatige Probezeit. Wenn’s nicht klappt, kommen sie zurück zu uns. Vorsichtshalber benehmen sie sich aber schon die ganze letzte Zeit nach dem schlauen Motto: «Ist mir doch alles egal, ich geh ja sowieso weg!»
    Heute machen sie richtig Randale. Sie fläzen sich auf ihren Stühlen, lassen dumme Kommentare ab und lachen die Schüler mit den guten Zeugnissen aus. Einen von ihnen, Ali, kriegen Karl und ich auch nicht mehr «eingefangen». Wir müssen ihn bitten, den Raum zu verlassen, das Zeugnis geben wir ihm auf dem Flur. Voll schrecklich … Dann schicken wir ihn nach Hause.
    Jetzt sind noch dreizehn übrig.
    Ach, und nun zu den Zeugnissen: Hier stehen Verspätungen und Fehlzeiten in astronomischen Höhen, dreißig bis siebzig Verspätungen sind fast normal (???). Da kann man sich den Mund fransig reden, alle vierzehn Tage die Eltern schriftlich benachrichtigen, interessiert keinen! Bloß die Arbeitgeber haben das später nicht so gern. Im zehnten Schuljahr werden sie es bereuen, jedenfalls die meisten.
    Die Noten … Einige haben wirklich gut gelernt und bekommen ganz schöne Zeugnisse. Neun bleiben sitzen, viele mit acht bis zwölf Fünfen. Erkan will seine Nachprüfung machen, übrigens immer noch in Deutsch.
    Die Frage, wer schuld oder nicht schuld an dem Desaster ist, beantwortet sich schnell: «Ich kann eben kein Mathe!» – «Ist voll Herr Böck schuld, bei dem ist Englisch voll behindert!» – «Herr Schmidt kann mich nicht leiden!» Mein Kollege Karl und ich fühlen uns auch schon wie die allerletzten Versager, dabei haben wir dieses Schuljahr wirklich so hart geackert wie noch nie. Ach, Jogi Löw, gewinnen ist schöner als verlieren …
    Hat voll Spaß gemacht, die Zeugnisausgabe, echt.
    Als es klingelt, stürzen alle raus. Ohne

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