Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
ist es gut, ich profitiere von ihren Ideen. Jedenfalls meistens.
Ferien kann sie überhaupt nicht leiden. Sie steuert in den letzten Schulwochen immer schon auf eine kleine Feriendepression zu und plumpst am ersten Ferientag in ein tiiiiefes Loch. Nach ein paar Tagen kommt es dann aber zu einer spontanen Besserung, sie gewinnt wieder ein bisschen Lebensmut und fängt mit irgendeiner anderen obsessiven Tätigkeit an, Marmelade einkochen (egal woraus) oder Pulswärmer stricken (jeden Tag mindestens vier Paar!).
Sehr gern liegt Frau Freitag in ihrer Freizeit auf ihrer Designer-Couch. Sie lebt in ihrer himmelblauen Decke, lässt sich von ihrem Freund bekochen und sieht exzessiv (natürlich!) fern, am liebsten Serien über das Leben von irgendwelchen abgefahrenen Menschen, im Prinzip wäre sie auch die ideale Supernanny oder eins der Gossip Girls.
Ach, Frau Freitag, ohne Sie als Superkollegin und Freundin wäre mein Leben öd, blöd und leer.
Kollegenküken
Die ganz jungen Kollegen von heute sind, genau wie wir damals in den frühen Siebzigern, sehr engagiert, aber pädagogisch die reinsten Analphabeten. Doch waren wir noch infiziert von den renitenten Politbewegungen jener Zeit, kommen sie eher gesetzt und angepasst daher.
So lässt Junglehrer Charles bereits in der ersten Schulwoche zu unserem nicht geringen Erstaunen öffentlich verlauten, dass er es sich ohne weiteres vorstellen könne, an dieser unserer Anstalt Schulleiter zu werden. Und die Referendarin Johanna bekundet, nur auf den Tag ihres Zweiten Examens hinzuleben: «Bin ich die Mutter Teresa der Pädagogik? Arbeiten für ’n Appel und ’n Ei? Nee! Nach der Prüfung bewerbe ich mich hier sofort weg! Egal wohin. Hauptsache in ein Bundesland, in dem man verbeamtet wird und mehr verdient.»
Wir hatten damals anderes im Sinn. Uns waberten noch die Achtundsechziger im Kopf herum. Die Verbeamtung war uns direkt ein bisschen peinlich. Sie passte nicht zu unseren Ideen, denn uns schwebte irgendetwas wie «Ordnung ohne Herrschaft» vor. Wir planten einen langen Marsch auch durch die Institution Schule, um auf diese Weise dem leicht unscharfen Fernziel einer paradiesischen Gesellschaft näher zu kommen. Das sollte sich jedoch noch als einigermaßen tückisch erweisen.
Zumindest bei unserer Zielgruppe, den Kindern und Jugendlichen, die ja von Natur aus anarchistische Wesen sind, liefen wir offene Türen ein. Dankbar vergaßen meine ersten Schüler sofort ihre ordentliche Heftführung aus der Grundschule, packten mitten im Unterricht ihr Frühstück aus und verlangten zukünftig, bei allem und jedem mitzubestimmen.
«Hausaufgaben? Supersinnlos! Die braucht keiner von uns, oder? Wer ist noch dafür, dass die abgeschafft werden?», versuchte Marco seine Klassenkameraden zu indoktrinieren und mich basisdiktatorisch auszuhebeln.
Das Kollegium beäugte unser Tun zurückhaltend, aber unsere Ausbilder schlugen angesichts der ersten Unterrichtsbesuche die Hände über dem Kopf zusammen. Wollte ich nicht komplett untergehen und vielleicht auch irgendwann Examen machen, musste ich genau wie viele andere zurückrudern. Trotzdem – die Aufbruchsstimmung jener Zeit trug uns, und noch nachträglich bin ich heilfroh, dass es mir nicht so erging wie Frau Freitag, die sich an ihrer ersten Dienststelle als einziges Küken in einem eingefahrenen ältlichen Kollegium wiederfand und sich monatelang nach nichts mehr sehnte als nach einer Gruppe übertrieben idealistisch gesinnter junger Kollegen.
Madame Kaltermann
«Was, du hast keine Putzfrau? Ich sage immer, wer in unserem Alter keine Putzfrau hat, hat was falsch gemacht», so eine der Lebensweisheiten meiner Kollegin Kaltermann, die mit einem Zahnarzt verehelicht ist und uns Kolleginnen gern demonstriert, wie eine Frau von Welt lebt. Sie hat noch mehr coole Sprüche drauf, zum Beispiel: «Ach, ich arbeite ja nur für meine Garderobe!» Oder: «Das halte ich hier alles nur durch, weil ich weiß, dass ich heutigentags aufhören könnte.» Es wird uns immer ein Rätsel bleiben, welches grausame Schicksal sie ausgerechnet an unsere Schule verschlagen hat.
Madame Kaltermann ist klein und zierlich, ähnelt ein bisschen dem Denver -Biest Joan Collins und trägt bevorzugt zu enge und zu kurze Designerklamotten («Aber immer nur eine Saison lang»). Sie raucht Mentholzigaretten in unserem Hinterhof, wo sich die letzten Raucher verstecken. Ihr Mann weiß, wie sie mir anvertraute, nichts von dieser peinlichen Sucht – sie scheinen
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