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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
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auch zur Schulleitung, oder Sie verlassen das Gelände», bemerke ich streng.
    «Ich bin Bruder von Neslihan», erklärt der Große, so als ob das eine Legitimation wäre.
    «Das ist mir egal. Ich kenne Sie nicht, deshalb gehen Sie jetzt!»
    «Verstehst du nicht? Ich bin Bruder von Neslihan!» Die Stimme hat einen drohenden Unterton angenommen.
    «Hab schon verstanden», verkünde ich. «Ist mir aber egal, ich kenne Sie nicht. Da könnte ja jeder kommen.»
    «Warum stellen Sie sich so an», sagt der Kleine, der plötzlich wieder da ist. Er wollte also gar nicht zur Schulleitung.
    Die beiden Typen stehen jetzt genau vor mir und sehen mich finster an. Die Sonne brennt auf den blanken Asphalt, die Schüler bilden auf einmal einen Halbkreis um uns, es ist totenstill, nur eine Glocke läutet in der Ferne.
    «Ich lasse Sie nicht rein, weil ich keinen Fremden hier reinlasse. Das geschieht zum Schutz der Kinder, also auch Ihrer Schwester, falls Sie überhaupt eine haben!» Ich bin unbeugsam.
    «Ach, und Sie glauben, Sie könnten hier was verhindern.» Der Kleine lacht höhnisch.
    Furchtlos sehe ich die beiden Typen an. «Natürlich», sage ich ganz ruhig, denn als beamtete Lehrerin in wichtiger Mission kann einem gar nichts geschehen. Man befindet sich in einem magischen Kreis, schließlich geht es um Recht und Ordnung. «Ich bin hier so eine Art Türsteher», erläutere ich weiter.
    Die Typen grinsen.
    Ich klopfe mit der Hand auf meine Hosentasche: «Ich habe hier ein DIENSTHANDY!» (Sehr schade, dass ich nicht sagen kann: einen COLT). «Und wenn Sie jetzt nicht sofort gehen, nehme ich es heraus und bin auch schon mit der POLIZEI verbunden!»
    Die beiden sehen sich überrascht an, dann zucken sie mit den Schultern – und das Unerwartete geschieht: Sie drehen ab und gehen betont langsam und cool in Richtung Hoftor.
    Ich atme aus, und die Schüler blicken mich bewundernd an – das bilde ich mir jedenfalls ein.
    «Haben Sie echt ein Diensthandy, Frl. Krise?», fragt mich Emre.
    «Klar, Emre, was denkst du, sogar eins mit Standleitung zur Polizei», erwidere ich und ziehe lässig ein gebrauchtes Tempotuch aus meiner ansonsten völlig leeren Hosentasche.

Gefährliche Zeiten
    Gabriel und Tim waren die Stars der siebten Klasse. Sie hatten eine Leiche gefunden. Gestern! Im Wald! Der Tote lag hinter einem Holzstapel in unmittelbarer Nähe eines kleinen Tümpels, auf dem die beiden ein selbstgebautes Spielfloß schwimmen lassen wollten.
    Eine Leiche! Sie waren sofort auf ihre Räder gesprungen und nach Hause gefahren. Geld zum Telefonieren hatten sie nämlich nicht dabei. Gabriels Vater rief die Polizei an, die sich mit den Jungen am Fundort verabredete. Die Jungen strampelten wieder zurück in den Wald und waren sogar noch vor den Polizisten am Ort des Geschehens.
    Ich war entsetzt. Diese Kinder! Sie taten mir leid. So ein grässliches Erlebnis! Und dass die dann noch einmal zum Tatort radeln mussten! Hatten die denn keine Angst?
    «Nö», sagte Gabriel, «war super.»
    Super? Waren die etwa völlig verroht?
    Meine Kollegen grinsten. «Quatsch», sagten sie, «normale Jungs.»
    Ein paar Tage später stellte sich heraus, dass der Mann eines natürlichen Todes gestorben war. Völlig uninteressant, Herzinfarkt oder so. Das Thema war bei uns in der Klasse ohnehin schon zu den Akten gelegt. Niemand dachte mehr daran oder sprach noch darüber.
    Mein junger Kollege Herr Böck, dem ich die Geschichte, die vor etlichen Jahren passiert war, erzählte, griff sich an den Kopf. Da ließen Eltern ihre zwölf-, dreizehnjährigen Söhne nachmittags mit ihren Fahrrädern ohne Aufsicht in der Gegend herumstromern! Was denen alles passieren konnte! Selbstverständlich waren die ohne Fahrradhelm unterwegs. (Den gab’s damals ja noch nicht.) Und offensichtlich auch ohne einen Penny in der Tasche, nicht mal 20 Pfennig zum Telefonieren aus einer öffentlichen Zelle hatten sie! Das Handy war ja noch nicht erfunden! (Heute fragt man sich, wie Eltern damals überhaupt in aller Gemütsruhe ihren diversen Beschäftigungen nachgehen konnten, ohne die Möglichkeit zu haben, ihre Kinder ständig anzurufen.)
    Und der Stadtwald, so rief Herr Böck weiter aus, der befindet sich doch in einem ehemaligen Bergwerksgebiet! Hier gibt es Senken und Mulden, kleine Gewässer und ein Gelände, das sich immer wieder dank plötzlicher Erdeinbrüche verändert. Das ist kein Spielplatz für Kinder! Und weshalb hinderte niemand sie daran, nach dem Telefonat zum «Tatort»

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