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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
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aufräumen!» rief, die Hölle losbrach. Alles sprang auf und rannte durcheinander. Aufräumen? «Das war ich nicht – das gehört mir nicht – das habe ich nicht schmutzig gemacht – hier saß jemand anders!» Mit dieser simplen Formel und endlosen Debatten versuchten sich die Schüler vor dem Saubermachen zu drücken. Eine Methode, die offensichtlich bis heute von Generation zu Generation weitergegeben wird.
    Einmal flüchtete ich aus einer mit Linoldruckfarbe restlos verschmierten Klasse einfach ins Lehrerzimmer. Die Schüler waren mir beim Klingeln zum Schulschluss mehr oder weniger abgehauen. Ich rauchte mit zitternden Händen eine Zigarette und tat so, als ob alles in schönster Ordnung sei. Was ich mir dabei dachte, ist mir heute schleierhaft. Wahrscheinlich war ich komplett überfordert oder geistig verwirrt, was ein und dasselbe gewesen sein dürfte.
    Zwei Minuten später schon hatte Frau Spieß, die Oberputzfrau, die mittags ihren Dienst antrat, das Malheur entdeckt und dem Rektor gemeldet. Der zitierte mich zu sich und sagte traurig: «Frl. Krise, wie soll etwas aus unseren Kindern werden, wenn Sie ihnen nicht einmal das Aufräumen beibringen?» Am liebsten hätte ich geschrien: «Diese Kinder können mich mal! Denen kann doch niemand was beibringen!» Aber ich riss mich zusammen, schwieg, trottete in den Klassenraum und verbrachte unter den Augen der hämisch grinsenden Spieß frohe Stunden mit dem Saubermachen der Tische.
    Anschließend flüchtete ich mich in mein Auto. Ich fuhr aber nicht nach Hause, sondern gurkte heulend und sinnlos eine halbe Stunde durch die Gegend. Es war die Zeit der Ölkrise und der autofreien Sonntage, und neben dem Dämpfer meines Selbstwertgefühls bekam ich auch noch ein schlechtes Gewissen wegen des unsinnig in die Luft geblasenen Benzins.
    Immerhin war es mir eine Lehre für das Lehrerleben, und heute kann sich jeder Schüler und Kollege, der den Kunstraum unordentlich verlässt, auf eine Ansage meinerseits gefasst machen.

Eine pädagogische Perle
    Kennen Sie schon Frau Freitag? Meine Freundin? Ich habe ja schon ein paarmal von ihr gesprochen. Wir sind sozusagen pädagogische Zwillinge, obwohl sie zwanzig Jahre und einen Tag jünger ist als ich.
    Frau Freitag – dieser Name täuscht. Warum? Dazu später.
    Natürlich ist Frau Freitag Lehrerin, was sonst! Sie sieht auch so aus, wie man sich eine Lehrerin vorstellt: groß, dünn und mit schwarzer Brille. Als Referendarin war sie ein Jahr lang an meiner Schule, und ich wurde ihre anleitende Lehrerin. Dass heißt, ich sollte ihr behilflich sein, aber da war nicht viel zu machen. Denn Frau Freitag verfiel dem Lehrerberuf wie andere dem Alkohol. Ich musste sie immerzu bremsen. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass sie auch in einem anderen Beruf komplett aufgeht, weil sie einfach so ausufernd veranlagt ist. Wäre sie zum Beispiel Krankenschwester, würde sie bestimmt die Patienten in Grund und Boden pflegen («Doch, jetzt hier noch die Wärmflasche auf den Bauch – und einen Eisbeutel auf den Kopf – und die Füßchen unbedingt in nasse Socken … So, jetzt geht es uns aber besser!»).
    Nun ist sie aber Lehrerin geworden – und das bis in den letzten Fitzel ihrer Existenz. Sie lebt, denkt, atmet, isst, träumt und trinkt Lehrerin, und am liebsten wäre ihr, wenn an ihrem Wohnzimmer «Lehrerzimmer» stünde und alle Freunde dort ein Brieffach hätten. Deshalb ist das «Frei» in ihrem Namen auch glatter Hohn, eigentlich müsste sie «Dienst-tag» heißen.
    Frau Freitag mag ihre Schüler, sie tut alles für sie, sie fährt sogar freiwillig mit ihnen in den Heidepark, was eigentlich die Höchststrafe für jeden Lehrer ist. Dabei ist sie nicht einmal schwindelfrei und hasst Gerätschaften, die sich schneller bewegen als ihr altes Fahrrad. Aber Hauptsache, die Schüler amüsieren sich!
    Ihr macht es auch gar nichts aus, montags in der nullten Stunde anzufangen – das ist kurz nach Mitternacht – und freitags spät aufzuhören. Im Stillen wünscht sie sich eine Einliegerwohnung in der Schule oder mindestens eine Schlafcouch im Lehrerzimmer.
    Ihre Schüler lieben sie zurück, heimlich träumen sie, von ihr adoptiert zu werden. (Ich glaube, der Lieblingsschüler darf sie inzwischen Cousine oder Tante nennen.)
    Frau Freitag checkt ihre Umgebung stets und ständig nach unterrichtsrelevanten Anregungen ab, das kann für Nichtlehrer (zum Glück kennt sie nur noch sehr wenige) ein bisschen anstrengend sein. Für mich

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