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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
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der wir stehen, wird wohl nicht gemeint sein.
    Eda hat das Kopftuch noch nicht lange, erst seit dem Ramadan. Sie hat es freiwillig genommen, beteuert sie, alle Frauen in ihrer Familie tragen Kopftuch. Sie gibt unbefangen zu, es sei etwas unbequem und sehr warm, aber sie freut sich schon auf den Winter, sie friert so leicht, und dann ist das Kopftuch bestimmt sehr gemütlich. Zu Hause zieht sie es aus, nur in der Schule geht das natürlich nicht, wegen der Jungen und Lehrer.
    Wir sind allein in der Klasse, und sie zeigt mir, wie das Tuch angelegt wird. Es ist ein ziemliches Gewurschtel, bis man zu den hochgesteckten Haaren vorstößt – wegen der Unterkopftücher und der kleinen Kappe, die alles im Verein mit Klammern und Nadeln zusammenhält. Ganz schön kompliziert.
    Eda ist stolz darauf, dass sie jetzt zu den Großen gehört.
    Eda ist echt süß. Sie hat braune Knopfaugen und ein rundes Gesichtchen. Sie ist immer bester Stimmung, offen für alles, spricht gut Deutsch – und eine passable Schülerin ist sie auch. Das Kopftuch scheint sich für sie so anzufühlen, wie sich damals die erste dünne Strumpfhose für mich angefühlt hat. Mental meine ich! Nein, ich habe mir die Strumpfhose nicht über den Kopf gezogen.
    Frl. Alice Krise denkt jetzt: Eda, weißt du, das Kopftuch ist in meinen Augen leider ein Zeichen für die Unterdrückung von Mädchen und Frauen. Und du wirst es mit Kopftuch später zudem sehr schwer haben, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Jawohl, ich finde es grässlich, dass du dieser Geschlechterapartheid unterworfen wirst. Ich sage das aber nicht, denn das könnte Eda im Moment gar nicht verstehen.
    Yasemin aus meiner letzten Klasse besucht mich in der Schule. Sie war eine total nette Schülerin, zwar faul und vorlaut, aber patent und mein Augenstern. Sie ist verheiratet, hatte schon eine Fehlgeburt, nimmt neuerdings die Pille («Bloß kein Kind jetzt», sagt sie) und macht eine Ausbildung – im zweiten Anlauf. Die erste Stelle hat sie geschmissen.
    Sie klopft an die Lehrerzimmertür. Ich öffne und kippe fast aus den Latschen: Yasemin trägt Kopftuch! Das kann ja wohl nicht wahr sein! Ich stoße einen empörten Schrei aus, danach fallen wir uns in die Arme.
    «Ach, das Kopftuch», sagt sie. «Ist doch egal.» Und sie fällt mir nochmal um den Hals und schnattert genauso los wie früher. Für sie scheint das Kopftuch ein normales Requisit zu sein, was frau eben so trägt. Meine Aufgeregtheit wischt sie – zack – weg. Soll ich mich jetzt abregen?
    Nein!

Turgut ante portas
    Das Unheil kündigte sich bereits am Sonntagnachmittag an. Über Facebook meldete sich nämlich Turgut bei mir.
    «Hallo frl. krise», las ich, «ich bin’s, Turgut.» Dazu grinste mich ein wohlbekanntes Gesicht aus einem Kinderzimmerfoto an. «Mein lehrer hat angerufen, ich hab nich bestanden probezeit. ich komm wieder bei euch in alte Klasse.»
    Ich dachte: Jetzt mal ganz ruhig bleiben, Krise, durchatmen und nicht die Nerven verlieren.
    «Hallo Turgut», tippte ich scheinheilig in das Nachrichtenfeld. «Was ist passiert?»
    Dabei wusste ich es schon: Der feine Herr Turgut war kaum hingegangen zu seiner neuen Schule und hat auch die Praktika, aus denen der Unterricht überwiegend besteht, geschwänzt. Sein Lehrer hatte uns vor einiger Zeit informiert – aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlicherweise zuletzt.
    Turgut antwortete: «Ja. ich wollte bei projektschule nicht bleiben. meine verhalten verbessere ich dieses jahr. ich schwör. bei projektschule habe ich mich benommen. morgen bin ich um acht bei der Sekreteriat. aber ist doch praktikum? wo soll ich praktikum gehen? und herr wolf meinte mir und Ali, wenn du halbjahr nicht bestehst dann bist du wieder zurück in unsere schule und gleiche klasse. ich will aber nur meine klasse. ich will nicht andere klasse.»
    Heute Morgen trafen wir uns dann vor dem Sekretariat – ich hatte schon alles perfekt organisiert (mitten in der Nacht sozusagen). Meinem verdutzten Turgut eröffnete ich, dass er die nächsten drei Wochen den Unterricht einer zehnten Klasse besuchen dürfe, da alle Neuner im Praktikum seien.
    «Aber Praktikum, ich will auch Praktikum», forderte Turgut.
    «Praktikum hättest du in den letzten drei Monaten jeden Tag machen können», bemerkte ich zuckersüß. «Sogar in einer Autowerkstatt, wie ich hörte. Jetzt geht’s ab in den Unterricht. Du wohnst doch nur um die Ecke. Hol deine Schulsachen, und zur dritten Stunde bist du in der 10b! Mathe! Hier

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