Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
Klasse gehen soll, fehlt gleich am Dienstag, meine Kollegin erzählt es mir heute im Nebensatz. Sie guckt dumm, denn ich haue sofort bei Facebook eine giftige Nachricht raus.
Antwort von Turgut gerade eben: «Ehm frl Krise, ich hab magenentzündüng. gestern war ich bei artz und sie meinte komm morgen von 9 Uhr bis 12 Uhr, aber leider hab ich nicht geschafft heute. und deswegen muss ich morgen wieder gehen, aber erst ab 15 Uhr da ich morgen zu schule komme. Morgen bin ich Punkt acht bei schule.»
Wenigstens hat er ein paar Punkte gesetzt. Ansonsten ist der Inhalt ja wohl eher nebulös, würde ich sagen.
Fuat hat sich gleich gestern eine neue Stelle gesucht. Jawohl. Ich bin erfreut. Gestern Abend hab ich mit ihm gechattet Dass es einmal so weit kommen würde, dass ich mit Schülern chatte! Karl hat ihn schon besucht, und wir ahnten es: Sein neuer Chef ist ein Verwandter. Der wusste natürlich nix vom Rausschmiss.
Ist euch Rahim noch ein Begriff? Der hat sich doch hier als Schuldistanzierter eingeführt. Was soll ich sagen? Wir bekamen die Kunde, dass er an seinem Praktikumsplatz noch nicht gesichtet wurde. Und die Handynummer der Mutter stimmt anscheinend auch schon wieder nicht …
Nun zu Hassan. Den hatten wir untergebracht, in dieser Berufsschule, weil es ihm nicht gegeben war, sich selbst einen Platz zu suchen. Aber schon am Montagmittag bekam Hassan so eine Art Migräne, ganz unangenehm. Der Ärmste fuhr gleich nach Hause, um sich ein bisschen abzulegen. Am Dienstag erschien er vorsichtshalber nicht. Heute Morgen rief uns seine Betreuerin von der Berufsschule an, Hassan habe die Praktikumsstelle gewechselt – angeblich in Absprache mit uns.
Hä?
Er sei jetzt bei einem Steuerberater.
Wie bitte?
Karl klemmte sich gleich ans Telefon. Die Nummer stimmte, und der Steuerberater bestätigte, ja, korrekt, Hassan sei jetzt sein Praktikant. Nein, sprechen könne man ihn nicht, er sei gerade im Außendienst. Nein, Hassan sei nicht mit ihm verwandt. Ach so, ohne Vertrag sei das alles nicht rechtskräftig und versichert wäre er dann auch nicht – na gut, das könne man nachholen. Wenn wir es unbedingt wollen, könne Hassan gern morgen noch mal in die Schule kommen, kein Problem, und einen schönen Tag noch.
Dann fuhr ich zu Azzize, auch eins unserer Sorgenkinder. Sie schwänzt in letzter Zeit viel, sie will lieber heiraten als in die Schule gehen. Ach, über sie könnte man eine lange Geschichte schreiben. Jedenfalls, als ich den kleinen türkischen Fotoladen endlich gefunden habe, in dem sie ihr Praktikum macht, muss ich frustriert feststellen: Madamchen fehlt. Ohne Krankmeldung, versteht sich. Weder in der Schule noch im Betrieb hat sie sich abgemeldet. Ein Anruf bei ihr zu Hause ergibt – Mailbox. Allmählich hasse ich diese Dinger.
Der einzige Lichtblick: Nesrin. Hübsch angezogen, gut frisiert, dezent geschminkt, wohlriechend und übellaunig kehrt sie ihren Friseursalon.
Ja! Sie ist Knecht. Empört flüstert sie mir ins Ohr, wie voll krass doch arbeiten sei! Ich verstehe gar nicht, was sie meint. So ein bisschen sauber machen …
Ach! Ehe ich es vergesse: Vier Stunden Unterricht hatte ich auch noch, aber das war sehr angenehm, fast erholsam – war ja nicht in meiner Klasse.
Ein Silberstreif
Praktikum, 4. Tag
Männe sagt, ich neige zur Übertreibung. Stimmt. Aber was dieses Praktikum angeht, da kann man nicht mehr übertreiben. Zum Beispiel Hanna. Hanna war auf den letzten Drücker von einer liebreizenden Kollegin in einem sehr hübschen kleinen Café untergebracht worden. Als Bedienung. Auch Hanna gehörte nämlich zur «Was-geht-mich-das-Praktikum-an-Fraktion».
Am Montag ist sie dort im Café erschienen, aber am Dienstag und Mittwoch fehlte sie unentschuldigt – und wurde daraufhin in Ungnaden entlassen. Natürlich habe ich sofort wutschnaubend mein Handy gezückt und die Nummer ihrer Mutter gewählt. Was hörte ich: «Die von Ihnen gewählte Rufnummer ist nicht korrekt, bitte überprüfen Sie …»
Langsam hab ich die Faxen dicke.
Aber es gibt auch Gutes zu berichten. Doch. Wirklich!
Heute früh habe ich Gülten in einer Kita besucht. Ach, wie süüüüüüß können Kinder sein! (Leider gerät das im Umgang mit Pubertären total in Vergessenheit.) Zweijährige kleine schwarzhaarige Jungs mit abstehenden knallroten Öhrchen, die sich klebrige Brotstückchen hochkant in den Mund schieben (mit beiden Händchen) und mir dabei irgendetwas Unverständliches erzählen – zu niedlich, ich war hin
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