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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
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Bock. Er wollte eigentlich Security werden oder Flugplatz oder Fremdenlegion, aber nicht Netto.
    Ich sage: «Natürlich, was denkst du denn?»
    «Weil, bei mir is anders», erklärt mir Fuat. «Der Mann da hat gesagt, wenn du früher kommst, kannst du früher gehen. Brauche ich also nicht sieben Stunden.»
    Ja, ich fasse es nicht. Ich mache den Mund auf – und kann auf einmal nur noch krächzen.
    Meine Stimme! Weg! Streikt, will blöde Fragen nicht mehr beantworten. Ich habe volles Verständnis für sie. Ich flüstere noch ein bisschen herum, komme aber nicht mehr zu großen Ansagen.
    Es klingelt.
    «Tschüssi, Frl. Krise», sagt Nesrin beim Rausgehen und gibt mir Küsschen links und rechts. «Sie sind voll süß ohne Stimme.»

Rechtslinksrechts
    Meine Klasse und ich, wir sind schon längst Teil der Bussi-Bussi-Gesellschaft, auch wenn wir immer noch nicht ganz zur Schickeria gehören.
    Wenn Nesrin mich an guten Tagen morgens umarmt, mir zarte Rechtslinksrechts-Luftküsse auf die Wangen haucht und beteuert, sie hätte mich voll lieb, genauso lieb wie ihre Oma (ich schätze diesen Vergleich), dann fällt mir mein Ausbilder Herr Neumann ein, der uns immer predigte: «Körperkontakt nur bis zum Tisch!»
    Aber der ahnte ja auch nicht, dass ich dereinst Gülten, Nesrin und Co. unterrichten würde.

Ein Versuch
    Ich erklimme die Treppe zum Kunstsaal und stelle fest, dass die ganze dunkelgrau-schmutzige Steintreppe über fast vier Etagen mit weißer Farbe aufgepimpt ist. Die Künstlerin in mir sieht verschiedene Strukturen – perlenartige Tropfen in langen Reihen, gewischte Streifen, grobe Kleckse und feine Striche. Die Lehrerin in mir erbost sich über die Verschwendung der teuren Acrylfarbe, und die Hausfrau wird stinksauer beim Gedanken an das Putzen.
    Herr Selig, ein bleicher und immer bekümmert dreinblickender Vertretungslehrer, der nur ein kurzes Gastspiel an unserer Schule geben wird, schrubbt im Kunstraum herum und sagt düster: «Das auf der Treppe war der Wahlpflichtkurs Kunst, wo auch deine drin sind. Ich glaube, es waren Fuat, Rahim, Erkan und Hassan.»
    Mal wieder die üblichen Verdächtigen.
    Ich knöpfe sie mir gleich vor.
    Das, was nun kommt, kenne ich zur Genüge: Empörung. Aufgerissene Augen. Schwüre auf den Koran. Schläge mit der flachen Hand auf den Tisch. Wut und gespielte Verzweiflung. Meine Jungs bieten mir das ganze Programm der Unschuldsbeteuerungen.
    Ich glaube ihnen kein Wort.
    Nach der Deutschstunde bleiben Fuat und Rahim in der Klasse. Rahim fragt stockend: «Können wir, äh … Ihnen was, äh … in Vertrauen, äh … was … sagen?»
    Ich nicke erwartungsvoll.
    «Frl. Krise, wissen Sie, wer Treppe mit Farbe vollgemacht hat? Erkan hat gemacht, ich habe gesehen, wie er Farbe weggenommen hat, so kleine Flasche.»
    Ach! Was ist denn jetzt los? Wieso verpetzen die Erkan? Verrat ist doch schlimmer als Mord und Totschlag – normalerweise.
    Da dämmert’s mir: Fuat steht im Moment unter besonderer Beobachtung (er war gerade erst drei Tage wegen einer Schlägerei von der Schule suspendiert) und hat Angst, schon wieder überführt zu werden. Er hat gesehen, wie ich mit Herrn Selig sprach, und Rahim, der etwas ausgebuffter ist als Fuat, hat ihm bestimmt geraten, Erkan die Schuld in die Schuhe zu schieben.
    «Okay, Jungs», sage ich verhalten, diese Petzerei ist mir unappetitlich.
    Am nächsten Tag ziehe ich Erkan beiseite: «Du, Erkan, ich weiß jetzt, wer die Treppe versaut hat, gestern …!»
    «Ja? Wer denn?» Erkan hampelt nervös vor mir rum.
    «Du!»
    Erkan schreit aufgebracht: «Niemals! Wer sagt das?»
    Nach diesem kurzen Schlagabtausch lasse ich ihn gehen. Das muss sich setzen, dann wird er gestehen, hoffe ich, wenn er es überhaupt war.
    Schon in der nächsten Pause lauert er mir vor dem Lehrerzimmer auf und zieht mich zur Seite. «Frl. Krise, ich will nicht Tadel! Ich sag Ihnen, wer’s war. Ehrlich jetzt! Aber bitte, nich weitersagen.»
    Ich nicke ergeben.
    «Es war Jerome aus 9a!»
    Ups. Es durchzuckt mich. Jetzt oder nie. Auch wenn ich niemals rauskriege, wer das mit der Treppe war, jetzt kann ich Erkan mal was deutlich machen. Ich lehne mich an die Wand, fixiere ihn und schweige einen Moment. Erkan zappelt und hampelt und knabbert an den Fingernägeln.
    Ich antworte ganz ruhig: «Das behauptest du ja nur, weil Jerome ein Farbiger ist.»
    Erkan starrt mich an; er ist sprachlos. Er schreit auf: «Nein, wie kommen Sie darauf? Nein, nein, niemals! Aber er war’s, ehrlich,

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