Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
ob ich im Sportstudio stünde.
Frau Freitag hingegen ist kühl und frisch. Sie probiert sogar noch mehrere Pullover an und stellt fest, dass hinterher die Frisur beziehungsweise das Kopftuch immer noch wie angegossen sitzt. Na ja, gelernt ist gelernt!
Ich suche mir ein T-Shirt aus, aber ohne es vorher anzuziehen. Nee, danke schön!
An der Kasse passiert etwas Komisches. Als ich dran bin, steht die Kassiererin plötzlich auf und geht ein paar Schritte nach links zu einer Kundin, die einen Mantel anprobiert. Dabei ist das völlig überflüssig; die Dame wird nämlich bereits von zwei Verkäuferinnen beraten.
Ich warte geduldig drauf, dass die Kassiererin zurückkommt, aber nichts passiert. Frau Freitag ergreift die Initiative und ruft genervt nach der Frau, die sich etwas widerstrebend von ihrer Gruppe löst und auf ihren Platz zurückkehrt. Hat die mich nun extra stehen lassen? Oder ist das bloß die übliche Unhöflichkeit von übellaunigem Personal, das sonntags arbeiten muss?
Ich bin ein bisschen verunsichert, und als mein T-Shirt in eine große Tüte gesteckt wird, sage ich ganz leise, bescheiden und mit fast türkischem Akzent: «Nein … kleine Tüte …» Frau Freitag amüsiert sich zwar darüber, findet das Verhalten der Kassiererin vorhin aber voll daneben. Ich natürlich auch. Und ich bin ganz sicher: Normalerweise hätte ich laut protestiert, doch da ich in der Minderheit bin, versuche ich mich betont unauffällig zu benehmen. Wer hätte das gedacht?
Familiengefühle
Praktikum, 11. Tag
Bei dem Wetter heute könnte ich glatt in Versuchung kommen, wieder das Kopftuch zu «nehmen», denn ich bin den ganzen kalten Morgen unterwegs, um meine lieben Praktikanten zu beglücken. «Busfahren für A13», nennt Kollegin Herz diese Tätigkeit.
Die letzte Woche vom Praktikum läuft, und ich muss feststellen, dass das Ende dieser Zeit von allen Schülern herbeigesehnt wird. Nicht so von mir. Ich finde es inzwischen wunderbar. Man kommt in der Stadt herum, muss keine Vorbereitungen machen, hat es nur mit einzelnen Schülern zu tun und kann auch noch zwischendurch, falls man nicht zu fußkrank ist, einkaufen gehen.
Besonders Nesrin hat richtig Heimweh nach der Schule. Ich werde geradezu liebevoll mit Küsschen von ihr im Friseursalon begrüßt, wie eine Tante oder Cousine, die sie lange nicht gesehen hat. Sie zieht mich auf eine gemütliche Couch und drängt mir erst einmal einen schönen heißen Kaffee auf.
Es ist kurz nach zehn und noch ziemlich leer. Einer jungen Frau werden gerade die Haare gefönt, und dann arbeitet sie sich selbst, mit Hilfe von Clips, lange dicke Haarsträhnen ins fusselige Hinterhaar ein. Als sie damit fertig ist, hat sie auf einmal eine Bombenfrisur. Ich staune. Nesrin grinst und sagt: «Jeden Morgen macht sie so.»
Erst jetzt kapiere ich, dass es sich um eine Friseurin handelt, die hier arbeitet. Inzwischen hat auch eine zweite Angestellte des Salons Platz genommen, ihr werden die Haare gefärbt. Ich kann ja nicht so ganz nachvollziehen, weshalb das nötig sein soll, denn ihre Haare sind bereits tiefschwarz. Aber vielleicht macht die das auch jeden Morgen.
Die beiden Friseure des Salons sind ebenfalls mit sich beschäftigt, der eine rasiert sich und der andere fuhrwerkt ohne Sinn und Verstand mit verschiedensten Bürsten auf den kurzen Stoppeln seines Kopfs herum. Nur der Chef befummelt nicht sich, sondern ein Handy und telefoniert laut auf Türkisch.
Man hat so ein bisschen den Eindruck, dass der Salon für die Angestellten da ist, und die Kunden sollen bitte schön lieber draußen bleiben. Aber das täuscht sicher.
Vielleicht müssten wir in der Schule auch so den Tag anfangen, schießt es mir durch den Kopf. Frau Herz könnte mir die Haare mit dem Glätteisen behandeln, und ich würde Herrn Böck endlich den kindischen Pony absäbeln, der mich schon so lange stört. Und dann könnte man sich ganz in Ruhe schminken und dabei ein Käffchen trinken. Ein bisschen Maniküre würde den meisten Kollegen übrigens auch nicht schaden, von den langen Haaren, die aus den männlichen Ohren und Nasen wachsen, wollen wir lieber gar nicht sprechen.
«Wir müssen immer Haare perfekt haben», sagt Nesrin und befühlt ihre Frisur, die ganz anders aussieht als in der Schule. Die Haare sind geglättet und gewollt nachlässig hochgesteckt. Die alte Nesrin mit den Locken gefällt mir besser.
Nach einem kurzen Gespräch mit einer der Friseusen will ich dann mal langsam los. Aber Nesrin lässt
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