Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
kletterte gerade auf einem Parkplatz aus meinem Auto, um Hanna auf ihrem neuen Praktikumsplatz zu besuchen. (Ja, ja, das Hin und Her geht lustig weiter. Hanna flog ja wegen Nicht-krank-Meldens raus und füllt jetzt bei einem Discounter die Regale auf – ob das nun mehr Spaß macht, als im Café zu arbeiten, weiß ich allerdings nicht.) Da flog mir ein zartes blondes Wesen um den Hals.
Britta! Aus meiner vorletzten Klasse! Wir rechneten nach, wie lange wir uns nicht mehr gesehen hatten. Kaum zu glauben, fast sieben Jahre war es her (sie ist jetzt schon dreiundzwanzig). Es war herrlich, dass wir uns hier trafen.
Britta – klein, zierlich, blond und nichts im Kopf als chillen, chatten, shoppen. Null Interesse an der Schule, nie verlegen um eine Ausrede, zu allem ein Widerwort. Ein sauschlechter, einfacher Hauptschulabschluss, mit fünfzehn Jahren schon bombenfest mit einem ebenso schwierigen Jungen liiert und von zu Hause ausgezogen. Sie nervte voll – aber ich mochte sie total gern.
«Frl. Krise, Sie können echt stolz auf mich sein», sagte sie. «Ich habe die Kurve doch noch gekriegt.»
Und wirklich, sie hat einen Job als Bedienung in einem bekannten Lokal, wohnt wieder bei Papa und Mama (sie ist frisch getrennt … na ja, fast getrennt), sieht hübsch aus und scheint zufrieden zu sein.
«Eine eigene Wohnung ist mir im Moment zu teuer», erzählte sie. «Lohnt sich auch nicht, ich arbeite ja so viel, oft an sechs Tagen in der Woche.»
Mensch – Britta und viel arbeiten! Hätte mir das jemand damals gesagt, ich hätte ihn ausgelacht.
Wir gingen zusammen in den Lebensmittelladen.
Da stand auch schon Hanna, in einen kurzen roten Kittel gewandet. Was haben die mit ihr gemacht, dass sie den angezogen hat?, dachte ich. Sie hantierte da zwischen vielen Kartons vor einem Regal und sortierte lustlos weihnachtliche Süßigkeiten ein.
Hanna – groß, sehr dünn, blond und nichts im Kopf als chillen, chatten, shoppen. Null Interesse an der Schule, nie verlegen um eine Ausrede, zu allem ein Widerwort – und doch … Irgendwie bin ich auf einmal ganz zuversichtlich. Die wird das auch noch hinkriegen. Hauptsache, sie rutscht nicht mit ihren komischen Freunden ganz ab.
Hanna begrüßte mich kaum, sprach ganz leise, zuckte mit den Schultern, nein, es gefalle ihr gar nicht hier, das Berichtsheft, ja, ein bisschen hätte sie es schon ausgefüllt, gleich hätte sie Feierabend, die Füße würden ihr wehtun … Nee, für immer sei das nix, kein Beruf für sie, Schule mache mehr Spaß. (Schule, sagte sie – nicht Unterricht!) Beim Reden guckte sie mich nicht an, es war ihr sichtlich peinlich, dass ihre Lehrerin hier im Geschäft aufschlug.
So im Laden wirkte Hanna irgendwie älter, und ich konnte mir plötzlich vorstellen, wie sie mit vierzig aussieht und immer noch im Kittel Regale einräumt, so dünn und schon ein bisschen abgearbeitet und verhärmt. Ich streichelte ihr beim Verabschieden über den Arm, sie zuckte zurück. Tschüs sagte sie nicht.
Draußen auf dem Parkplatz schüttelte Britta den Kopf. «Waren wir auch so, Frl. Krise? Jaaa … wa? Aber nicht ganz so schlimm, oder?»
Vorbereitungen
Der junge Verkäufer auf dem türkischen Markt in unserem Kiez sieht mich fragend an. «Ich guck erst mal», sage ich hastig und hebe unschlüssig eins der Kopftücher hoch. Vor mir auf dem Stand liegen jede Menge Tücher, gemusterte, einfarbige, wollige, seidene, große, kleine, billige, teure, dazu kommen noch Unterkopftücher und Borten. Für jedes Alter, jeden Geschmack und jede Gelegenheit ist etwas dabei. Aber ich fühle mich unsicher, beinahe so wie in der Dübel-Abteilung im Baumarkt.
Was soll ich kaufen? Was passt? Was nicht?
Frau Freitag und ich haben nämlich einen Plan. Wir wollen einen Spaziergang durch die Stadt machen, vielleicht auch ein bisschen shoppen, und dabei sehen, wie sich das so anfühlt, wenn man Kopftuch trägt. Das haben wir schon lange vor, und diesen Sonntag wollen wir es endlich in die Tat umsetzen.
Schließlich kaufe ich aus Verzweiflung gleich eine kleine Kollektion von Kopftüchern, Schals und Bones in verschiedenen Farben. «Viel Spaß!», ruft mir der Verkäufer nach, als ob er wüsste, was ich vorhabe.
Morgen, denke ich, sind erst mal die Kleinen aus der Sieben dran, die müssen mir zeigen, wie’s geht.
Testlauf
Mehrmals mussten wir ihn schon verschieben, aber heute ist es so weit – der kleine Kopftuch-Selbstversuch soll endlich stattfinden. Eda, Filiz und Derya aus
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