Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
der siebten Klasse sind im Deutschunterricht ganz aufgeregt und zwinkern mir andauernd verschwörerisch zu.
Eda hat mir ja neulich schon eine kurze «Einführung» ins Kopftuchbinden gegeben, aber Filiz und Derya sind der Meinung, Eda hätte mir das sicher nicht gut gezeigt. Und es stimmt: Eda trägt ihr Kopftuch viel nachlässiger gebunden als die beiden anderen, bei denen sitzt es immer wie eine Eins. Die tragen es aber auch schon länger …
Die beiden haben mich regelrecht bestürmt, sie wollen es mir nun richtig beibringen.
«Mit Anziehen?», fragte Filiz.
«Mit Anziehen!», antworteten Eda, Derya und ich aus einem Munde.
Nein, ich bin nicht zur Muslima konvertiert! Ich will bloß wissen, wie das Kopftuchbinden geht, und die drei Kleinen aus der Sieben brennen geradezu darauf, es mir zu demonstrieren.
In der Mittagspause geht es los. Eine hochkonspirative Aktion!
Vor der Tür haben sie Hilal postiert – für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich eine männliche Person Zutritt verschaffen sollte. Und wenn schon. Bisher habe ich mich ja auch ohne Verschleierung der Öffentlichkeit präsentiert.
Ich schließe aber gutwillig beide Türen ab, dann fallen die Hüllen.
Spaaaaaß! Dann ziehe ich die Kopftücher, Schals und Bones aus der Plastiktüte. Ein Spiegel hängt zum Glück in der Klasse.
Ich bin gespannt.
Nun beginnen die drei an mir herumzuwurschteln. Derya kämmt mir die Haare zurück und bedauert, dass sie zu kurz sind. Richtig langes Haar könnte man hinten raffiniert hochstecken und würde einen formschönen, ausladenden Hinterkopf erzielen, wie es gerade modern ist. Meiner ist jetzt platt – sehr schade, echt …
«Na, macht nix», sagt Derya tröstend. «Ist bei älteren Frauen egal, aber bei jungen nich.»
Das ist das Nette an Kindern, dass sie immer so schonungslos sind, denke ich und seufze.
Nun kommt das mützenartige Unterkopftuch, das Bone, das die Haare zusammenhalten soll. Ich habe eins zum Binden gekauft. Das gibt es auch als Schlauch, werde ich belehrt, aber die Mädchen finden meins ganz okay.
Wahrscheinlich für ältere Frauen gerade richtig! Es wird straff um den Kopf gelegt und guckt später an der Stirn aus dem Tuch heraus.
Nun ist ein Schal an der Reihe, und ruck, zuck ist er gebunden. Ich will mal in den Spiegel gucken, doch die Mädchen verbieten es mir. Sie lachen sich aber schon halbtot über meinen Anblick. Muss ja sehr komisch aussehen …
«Lass ma das Kopftuch noch drübertun, sieht dann voll gut aus», sagt Filiz – und schon liegt das große braune Tuch auch noch über meinem Kopf. Sie verschließt das Kopftuch unter dem Kinn mit einer Spange. Das finde ich ein bisschen beengend, aber die Mädchen sind gnadenlos. Die beiden Enden des Tuchs werden überkreuzt und lässig über die Schultern gelegt. Fertig!
«Wie eine Türkin», prustet Eda. «Sie sieht voll wie eine Türkin aus!» Eda wischt sich die Lachtränen aus den Augen.
«Jaaaa, wie meine Oma, echt!», kreischt Derya und schlägt sich auf die Schenkel.
«???????»
Jetzt führen sie mich zum Spiegel.
Ich blicke vorsichtig auf – und pralle zurück. Eine alte, kurzsichtige Türkin mit Kopftuch guckt mich aus dem Spiegel an. (Die Brille war bei der Operation in Vergessenheit geraten.) Meine braunen Augen sind ohnehin mit Kajal umrändert, und meine relativ dunkle Haut gibt der Sache den Rest.
Original türkisch sehe ich aus! Wirklich! Und mal mindestens zehn Jahre älter. Wie eine Oma – Derya hat leider recht. Und dieses runde, hamsterbackige Gesicht – also nein! Die Mädchen kriegen sich vor Lachen nicht mehr ein. Vallah, endlich haben sie eine original türkische Lehrerin, hahaha.
Zuerst fand ich es ja ganz gemütlich mit dem Kopftuch, aber wegen des Gelächters und der drei Stoffschichten, die eng um den Kopf liegen, wird mir langsam heiß. Alles muss runter, und in null Komma nichts stehe ich leicht zerrupft wieder als Frl. Krise da.
«Schade», sagt Filiz. «Können Sie nich mal morgen so in Unterricht kommen?»
Das Experiment
Am nächsten Sonntag geht’s los. Unser großer Kopftuch-Selbstversuch!
Frau Freitag ist hochzufrieden, als sie meine Auswahl Kopftücher aus der dünnen weißen Tüte auf den Küchentisch schüttelt.
«Sehr schön, Frl. Krise», sagt sie und angelt sich gleich ein schlichtes schwarzes Tuch heraus. «Das nehme ich, das passt zu meiner Jacke.»
Sie holt Haarspangen und Nadeln aus dem Bad, setzt sich auf einen Stuhl und schaut mich erwartungsvoll an.
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