Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
teilnahmsvoll und schüttelt nachdenklich ihre roten Locken. «Sortierst du deine Eier?
Kindermund
An meiner zweiten Stelle – der Franca-Magnani-Gesamtschule – war ich Klassenlehrerin einer fünften Klasse mit dreiundzwanzig Kindern. Elf Kinder hatten einen migrantischen Hintergrund. Ihre Eltern stammten aus Aserbaidschan, der Türkei, dem Iran, Weißrussland, Ägypten, der Mongolei, Kasachstan, Marokko und Eritrea. Alle sprachen gut Deutsch. Kein Wunder! Deutsch war die einzige Sprache, in der sie miteinander kommunizieren konnten. Diese Kinder waren wie alle Kinder: Viktor schlug sich mit Tobias wegen eines Fußballs, Angela verkrachte sich mit Karima, weil die ihr Lukas ausgespannt hatte, und Arife weinte, weil ihre Freundin Jenny sich neben Makena gesetzt hatte. Eine Klasse mit so vielen Nationalitäten ist auch nicht viel anders als die anderen, stellte ich fest.
Dann kam ein neuer Schüler dazu, Philipp. Zugezogen aus Frankfurt, ein hübscher dunkelhaariger Junge mit Brille. Seine Leistungen waren sehr gut, er spielte Querflöte, las gern und redete ein bisschen viel und altklug. Die Jungen mochten ihn nicht besonders, er war ihnen zu unsportlich und wehleidig. Auch die Mädchen verhielten sich ablehnend. Das ist doch kein richtiger Junge, fanden sie.
Nach einigen Wochen sprach ich mit seiner Mutter, sie war besorgt.
«Frl. Krise, Philipp hat noch so wenig Anschluss an die Kinder in seiner Klasse gefunden. Er sitzt nachmittags immer alleine zu Hause herum. Haben Sie nicht mal einen Tipp für mich, wie ich ihm helfen könnte, neue Freunde zu finden?»
«Lassen Sie Philipp doch ein paar Kinder zu sich nach Hause einladen», schlug ich ihr vor. «In Ihrer Nähe wohnen doch einige, Waldemar und Olga zum Beispiel.»
Die Mutter zuckte zusammen. «Russen?», fragte sie wenig begeistert. «Die aus der Siedlung am Bauhof?»
«Mama, das sind doch keine Russen», sagte Philipp, «das sind Kinder aus meiner Klasse!»
Besser hätte man es nicht sagen können.
Der Ernst der Schule
Heute durfte ich endlich mal superstreng sein. Nein, ich durfte es nicht, ich musste es sein! Ich war dienstlich dazu verpflichtet.
Das kam daher, dass wir heute eine sogenannte Vergleichsarbeit geschrieben haben. Da wird der Lernstand eines ganzen Jahrgangs in allen Schulen mit ein und derselben Arbeit getestet. Die Schüler eines Gymnasiums bekommen sie wie die, die sich am entgegengesetzten Ende der Leistungsskala befinden. Das ist kein bisschen Jäckpott, vallah, aber den Schülern bekannt, was es natürlich nicht besser macht. Noten gibt es keine, aber die Ergebnisse werden statistisch ausgewertet. Allerhöchste Stellen ziehen kluge und weniger kluge Schlussfolgerungen daraus, die wiederum zu irgendwelchen sinnvollen und weniger sinnvollen Veränderungen des Schulalltags führen. Das ganze Verfahren ist selbstverständlich genormt, und man muss sich genau an die Vorgaben halten, damit alle Gruppen gleich benachteiligt sind.
Und wer ist schuld? Irgend so ein Turm in Pisa, das hat mir jedenfalls neulich Harry aus dem siebten Schuljahr glaubhaft versichert. Seine Klassenlehrerin hat ihm das angeblich erzählt. Was die Kollegen so alles von sich geben … Schlauer wird übrigens keiner von der ganzen Testerei. Aber das soll wohl auch nicht Sinn der Übung sein.
Die Deutschtruppe, die ich beaufsichtigen muss, kommt schon mal zu spät, weil alle Schüler, die dazugehören, vorher in der ganzen Schule versprengt unterrichtet wurden und die meisten Gören selbstverständlich vergessen haben, dass wir diesen Test nicht im Klassenraum schreiben. Wegen irgendwelcher Baumaßnahmen soll es da zu laut sein. Die wenigen Pünktlichen hibbeln vor der verschlossenen Tür des Ersatzraums auf und ab, während ich drinnen, streng nach Vorschrift, die Arbeiten auf die Tische lege. Ich komme mir sehr wichtig vor. Direkt staatstragend, wie eine Beamtin. Und ich bin ja auch eine.
Eine Kollegin treibt mir die letzten verlorenen Schafe zu, und endlich sitzen alle. Ich muss die Anweisungen vorlesen. Bin ich ein Roboter? Ich? Aber Vorschrift ist Vorschrift. Es ist mucksmäuschenstill, alle hören hochkonzentriert zu.
Komisch, dass jetzt niemand stöhnt und jammert, tausend Fragen stellt, versucht, über den Umfang der Arbeit zu verhandeln oder einfach nur den Nachbarn kitzelt. Auch vermisse ich zum ersten Mal den Satz: «Hat mal jemand ’ne Patrone für mich?»
Offensichtlich sind sie krass beeindruckt von diesem offiziellen Klimbim und
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