Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
noch passte.
Ömür klopft auf seinen Bauch. «Habe ich zugenommen», stellt er fest. «Dabei habe ich gestern nur halbe Pizza und Spaghetti gegessen.»
«Viel zu viel», sagt Nesrin, die auch nicht gerade die Dünnste ist.
«Aber ich habe doch Sport gemacht, gestern», verteidigt sich Ömür.
«Na ja», meint Emre. «Sport …»
Ich fange jetzt an, diese Jungs halten den Betrieb heute echt auf.
Emre hatte sich um das Praktikum bemüht und Ömür mitgeschleppt. Ich hatte allen Schülern die Flyer des Schnupperpraktikum-Projekts gegeben, aber meine Herrschaften glauben sich ja noch Lichtjahre entfernt von der Berufswahl. Jetzt sind alle ein bisschen neidisch, besonders weil die beiden in den nächsten fünf Wochen wegen der kleinen Praktika früher gehen dürfen. Um 14 Uhr müssen sie heute los, wir anderen haben bis 15 Uhr Unterricht.
Ich denke: Das größte Problem wird sein, das weiße Hemd heil über den Morgen zu bringen. Und ich erstarre, als ich sehe, dass sich Emre bei Pausenbeginn lässig eine Milchschnitte in die Brusttasche steckt. Verpackt natürlich, aber trotzdem!
«Mach das nicht so!», rufe ich panisch, aber Emre winkt mir ganz überlegen zu und verschwindet in Richtung Schulhof.
Ömür entdeckt in der dritten Stunde, dass er das Schreiben, auf dem die Praktikumstage testiert werden sollen, zu Hause liegenließ. Vallah, wegen der Anprobiererei! Ich schicke ihn los, um das Blatt zu holen. Was bleibt mir übrig.
Nach der großen Mittagspause dürfen die beiden endlich starten. Sie sind ein bisschen aufgeregt.
«Wir sollen heute Englisch reden», sagt Ömür und reißt seine runden braunen Augen auf.
«Oh my god!», antworte ich passend. «Na, wird schon schiefgehen!
«Sehen wir gut aus?» Ömur zuppelt an seinem Hemd herum. Alle Knöpfe sitzen erstaunlicherweise noch an Ort und Stelle, und Emres Hemd ist fleckenlos rein.
«Jetzt schiebt endlich ab. Ihr seht super aus. Blamiert uns nicht, und viel Spaß!»
Weg sind sie.
Wir haben noch Ethik.
Am liebsten hätte ich mit ihnen getauscht.
Mit Fischerhemd und Bauch
«Fischerhemden! Und dafür den ganzen Aufriss mit euren feinen Hemden?»
Ömür nickt. «Ja, wa? Waren so blau mit weißen Streifen!»
Ich muss mir das Lachen verkneifen. Ömür und Emre in Friesenhemden im Hotel! Das hätte ich zu gern gesehen.
«Ja», sagt Emre düster. «Mussten wir anziehen, und rote Halstücher, so kleine schwule! Mussten wir alle anziehen, so wie Personal eben.»
«Habt ihr ein Foto gemacht?», frage ich hoffnungsvoll.
Natürlich nicht.
Eigentlich fängt gerade die Deutschstunde an. Alle sitzen auf ihren Plätzen und hören zu. Es ist verdächtig still, und selbst bei den schwulen Halstüchern kommt kein Kommentar.
«Und was habt ihr den ganzen Nachmittag lang gemacht?», frage ich.
«Wir haben erst Bischofshüte und Kerzenleuchter gefaltet.»
Ich verstehe nur Bahnhof.
«Servietten», klärt Ömür mich auf. «Servietten gefaltet, aus Stoff, war voll schwer!»
«Wir zeigen Ihnen!», sagt Emre, und ich reiche jedem ein Tempotuch, denn eine Serviette ist gerade nicht zur Hand. Schon gar nicht eine Stoffserviette!
Während die beiden vor sich hin basteln, erzählen sie, dass sie zu viert waren.
«Ein Mädchen hat sich hingesetzt beim Falten, weil sie war müde, danach die Frau hat gesagt, das geht gar nicht», berichtet Emre, und Ömür fügt hinzu: «War voll anstrengend, mir tat Rücken weh, mein Bauch zieht mich so nach vorne!»
Ich betrachte die fertigen Taschentuchkunstwerke. Unglaublich! Dass die das hinkriegen.
«Und dann?», frage ich.
«Dann haben wir Tische bedeckt, für Essen am nächsten Tag», sagt Ömür.
«Gedeckt», korrigiere ich.
«Sag ich doch so! Musste man jedenfalls ganz genau machen beim Tische gedecken!»
«Beim Tischdecken.»
«Ich denke, gedecken?», fragt Emre.
Ich bin einen Moment verwirrt. Aber ehe ich mich besinnen kann, kommt schon der nächste Knaller:
«Frl. Krise! Wir gehen nächste Woche Pressekonferenz!» Emre guckt mich stolz an. «Ich muss sprechen, und Ömür geht Publikum.»
«Neben Frau Merkel», ergänzt Ömür. (Frau Merkel ist, glaube ich, Ömürs Traumfrau; er spricht täglich über sie.)
«Wie jetzt? Pressekonferenz?» Aynur kann sich nun nicht mehr zurückhalten.
«Ja, die Leute von dem Praktikumsprojekt machen Pressekonferenz mit Fernsehen!», erzählt Emre. «Wir gehen nächste Woche zwei Stunden vorher hin und üben.»
«Wow!» Ich bin ernsthaft beeindruckt. «Dann habt ihr ja wohl
Weitere Kostenlose Bücher