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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
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Liebesbrief
    «Ich möchte Ihnen Bitten das Sie das Geld zurück weisen.»
    «Ich habe eine Verkäuferin gefragt, ob ich sie mit der Waschmaschine waschen könnte.»
    Meine Schüler bepfeifen sich über diese und ähnlich geglückte Sätze. Sie sind gerade dabei, ihre Texte gegenseitig zu korrigieren. Sie sollten alle ein Reklamationsschreiben verfassen. So richtig auf weißem Papier, mit den korrekten Zeilenabständen und allem Drum und Dran.
    Das war der geforderte Inhalt (hier nur stichwortartig): Teuren Pullover in anderer Stadt gekauft, selbiger laut Verkäuferin auf jeden Fall in der Waschmaschine waschbar (trotz Etikett «Handwäsche»), Pullover nach Maschinenwäsche natürlich verfilzt und eingelaufen, Geld zurück oder Ersatz …
    Die fertigen Briefe sehen optisch schon ziemlich professionell aus, aber inhaltlich klemmt es noch gewaltig.
    «Meinen Sie, die Frau im Geschäft würde auch lachen über den Brief, ich meine der Brief mit sie in der Waschmaschine?», fragt Gülten.
    «Wahrscheinlich», sage ich. «Aber kaum jemand kann solche Briefe gut schreiben. Deshalb üben wir das ja auch.»
    «Ähh … wegen hochachtungsvoll und so», konstatiert Emre. «In Privatbrief kann ich aber nicht ‹hochachtungsvoll› schreiben, sondern ‹mit freundliche Grüße›, wa?»
    «Mit freundlicheN GrüßeN, Emre … und KüsseN, falls du an deine Freundin schreibst!»
    «Niemals», sagt Emre. «Hab ich noch nie gemacht! Ich meine, Brief geschrieben an meine Freundin.»
    «Schade, da würde die sich bestimmt freuen.»
    Emre guckt mich zweifelnd an.
    «Haben Sie schon mal Liebesbrief geschrieben, Frl. Krise?»
    Natürlich hören jetzt alle gespannt zu. Für Schüler ist und bleibt es ja ein unfassbares Mirakulum, dass Lehrer angeblich auch so etwas wie ein Liebesleben haben sollen.
    «Ich hatte als Schülerin einen Freund, der im Internat war. Wir konnten uns nur am Wochenende treffen. Also haben wir uns fast jeden Tag einen Brief geschrieben», erzähle ich bereitwillig.
    «Warum nich E-Mail?», fragt Necla leicht angewidert.
    «Gab’s noch nicht. Facebook ebenso nicht, übrigens. Überhaupt keine Computer und auch keine Handys.»
    «Abooooo, voll krass!»
    Meine Schüler sehen mich mal wieder an, als wäre ich ein schlecht erhaltenes Fossil. Wie ich damals überhaupt nur einen einzigen Tag mit all diesen Defiziten überleben konnte, ist ihnen völlig schleierhaft.
    «Wie viele Briefe waren das?», will Azzize wissen.
    «Ganz schön viele, bestimmt zwei Schuhkartons voll.»
    «Tschüüüch! Haben Sie die Briefe noch?», fragt Nesrin, die unverbesserliche Romantikerin.
    «Die Briefe von meinem Freund? Nein, die habe ich vor ein paar Jahren verbrannt.»
    «Warum das denn?» Nesrin ist voll entrüstet.
    «Ich weiß auch nicht. Ich glaube, ich wollte nicht, dass die mal jemand liest, wenn ich tot bin oder so.»
    «Ja, ja, Frl. Krise, wer weiß, was da alles drinstand!» Emre grinst mich wissend an.
    «Schluss jetzt!», rufe ich. «Wir sind doch nicht hier, um über meine Liebesbriefe zu plaudern. Wir sind beim Thema offizieller Brief. Ihr bringt mich noch ganz aus dem Konzept!»
    Nach der Stunde sagt Necla zu mir: «Frl. Krise, wie hieß Ihr Freund?»
    «Necla!»
    «Sagen Sie doch mal, bitte!»
    «Holger.»
    «Was das für ein Name! Hat der auch Ihre Briefe verbrannt?»
    «Keine Ahnung, Necla. Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihm.»
    «Ist echt voll gemein von Ihnen mit dem Verbrennen!», findet Necla jetzt und sieht mich feindselig an. Fehlte nur, dass sie gleich noch «der arme Holger» sagt.
    Das hat man nun davon, wenn man Schülern Storys aus der Jugend erzählt.

Verbotene Liebe
    Ehrlich gesagt, eigentlich ist jede Schule eine einzige große Dating-Agentur. Der Unterricht spielt nur eine nachgeordnete Rolle. Die Schüler produzieren Hormone ohne Ende, und die Lehrerschaft bemerkt in der permanent jugendlichen Gesellschaft kaum, dass sie altert. Gemeinsam versüßt man sich den harten Schulalltag durch einen flirtigen Ton. So gut es tut, wenn der trockene Unterricht eine Spur Leichtigkeit erhält, so schnell ist da manchmal ein schmaler Grat überschritten …
    Eine meiner Töchter war Schülerin an meiner zweiten Dienststelle, der Franca-Magnani-Gesamtschule. Sie ging in die Oberstufe, ich arbeitete in der Mittelstufe, und wir hatten vormittags fast nichts miteinander zu tun.
    Aber nachmittags, da saßen wir mit ihren Freundinnen bei uns zu Hause am Küchentisch. Wir redeten über die Schule, und ich wurde zur

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