Ghost Lover
würde.
Marcus’ Zunge liebkoste ihr Ohr und raubte ihr den Atem. Sie unterdrückte ein Seufzen.
„Willst du meine Zungenfertigkeit testen?“, hauchte er ihr ins Ohr.
„Eine Tragödie“, ihre Stimme schwankte. „Wir, ich meine, ich gehe besser nach Hause.“
Sie knüllte die Decke, auf der sie und Marcus eben noch gesessen hatten, zusammen und stopfte sie in den Korb, ehe sie stolpernd von der Lichtung lief.
„Hör auf“, schimpfte sie leise mit Marcus, als dieser versuchte, ihr den Korb abzunehmen. „Der Mann kann uns noch sehen.“
„Und hören“, entgegnete Marcus trocken.
„Du treibst mich in den Wahnsinn, weißt du das, Mylord?“, murmelte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen.
Marcus lachte leise und kraulte ihren Nacken.
Ella stellte den Korb sorgfältig ab und holte das Notebook hervor.
Marcus musterte das Gerät neugierig.
„Was ist das?“
„Die Verbindung zur großen, weiten Welt“, erklärte Ella. Sie zeigte ihm, wie man den Deckel öffnete und das Gerät einschaltete.
Dass er beim Piepsen des Apparates keinen erschrockenen Satz rückwärts machte, fand Ella bewundernswert. Ihr fiel ein, dass er sich über einige Dinge nicht in dem Maße wunderte, wie es zu erwarten war.
„Wann wurdest du geboren?“, fragte sie.
„Neunzehnter Juni siebzehnhundertsiebenundzwanzig“, antwortete er und musterte den Bildschirm fasziniert.
„Kommt dir nicht vieles fremd und unheimlich vor?“ Marcus sah auf. „Ich war immer ein guter Beobachter. Ich habe einige der technischen und sittlichen Wandlungen der letzten Jahrhunderte bemerkt.“ Er zuckte mit den Schultern.
Ella nickte und setzte sich an die Tastatur. Ihre Finger flogen darüber und Marcus beobachtete sie fasziniert.
Sie zeigte auf den Monitor. „Siehst du?“ Sie klickte die Ahnentafel an.
Er hob seine Hand, als wollte er den Bildschirm berühren, hielt dann aber inne.
„Das ist … war mein Bruder. Er hat geheiratet.“ Seine Stimme klang erstickt.
Ella hatte bereits mehr entdeckt. „Du hattest einen Sohn. Nicholas“, verkündete sie.
Marcus beugte sich vor. Seine Hand zitterte. „Einen Sohn“, sagte er rau.
„Ich hatte einen Sohn und ich erinnere mich nicht.“ Ella nahm seine Hand. „Es ging ihm gut, sieh nur, er heiratete und hatte fünf Söhne und eine Tochter.“
„Tu das weg.“ Marcus’ Stimme zitterte. „Ich will es nicht wissen.“ Er wandte sich ab.
Ella ließ das Notebook herunterfahren. Dann drehte sie sich nach Marcus um.
Er hatte sich in Luft aufgelöst.
Besorgt wartete Ella, dass Marcus wieder auftauchte. Um ihre Unruhe zu überspielen, spülte sie das Geschirr. Dann nahm sie eines der neu erstandenen Bücher und begann zu lesen. Als sie merkte, dass sie sich nicht konzentrieren konnte, legte sie es fort und griff stattdessen zu ihrem Handy.
Sofie nahm nach dem zweiten Klingeln ab.
„Was gibt es?“
„Hast Du Wyndham Manor bereits deinen Besuch abstatten können?“, wollte Ella wissen. Sofie brummelte etwas. „Die Gärten“, gestand sie. „Ich habe mich vor zwei Tagen auf das Grundstück schleichen können. Mr. Von und Zu war verreist. Er kommt erst morgen zurück und ohne seine Zustimmung darf das Personal offenbar nicht mal eine rauchen gehen.“ Sofie schnaubte verächtlich. „Ich habe ein paar gute Schnappschüsse gemacht. Interessiert’s dich? Ich könnte morgen Vormittag vorbeikommen, ehe ich zu meinem Ausflug aufbreche. Hinüber zu den Kreidefelsen und zu einem anderen Herrensitz, den ich fotografieren darf.“
„Hört sich gut an“, stimmte Ella zu.
„Ich habe von einem Pastor hier in der Gegend gehört, der allerlei historische Unterlagen aus den Herrschaftsjahren Georg II. sammelt.
Dachte mir, ich könnte bei ihm vorstellig werden.“
„Bei Georg II.“ Ella lachte.
„Scherzkeks“, entgegnete Sofie erheitert. „Beim Pastor natürlich, wer weiß? Vielleicht kriegen wir was über den rätselhaft verschwundenen Wyndham-Knaben heraus? Wäre eine heiße Sache für meinen Bildband.“
„Oh ja.“ Ella klemmte den Hörer zwischen Ohr und Schulter ein und schenkte sich Tee ein. „Daraufhin wird Rose Cottage zum Wallfahrtsort für Historiker und Spukologen und ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit Führungen durch das Haus.“
„Ja, mach nur Witze“, gab Sofie zurück. „Kennst du nicht das alte chinesische Sprichwort: Mögen all deine Wünsche in Erfüllung gehen?“
„War das nicht ein Fluch?“
Sie verulkten sich noch eine Weile am Telefon, dann
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