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Ghost

Titel: Ghost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Haut, etwas schlanker wegen des Kummers, gehüllt in etwas Schwarzseidenes aus Designerhand. Sid Kroll war direkt hinter ihr.
    »Hallo«, sagte Ruth und umfasste meine Hände, Bussi links, Bussi rechts, wobei ihre Lippen mich allerdings nicht berührten, sondern nur ihr dichter Haarschopf ganz kurz meine beiden Wangen streifte.
    »Hallo, Ruth. Hallo, Sid.«
    Ich nickte ihm zu, er zwinkerte.
    »Man hat mir gesagt, dass du diese Art von Partys nicht ausstehen kannst«, sagte sie, während sie immer noch meine Hände hielt und mich mit ihren glänzenden, dunklen Augen fixierte. »Sonst hätte ich dich eingeladen. Hast du meine Nachricht bekommen?«
    »Ja, danke.«
    »Aber du hast nicht angerufen!«
    »Ich war mir nicht sicher, ob du nicht nur höflich sein wolltest.«
    »Höflich!« Sie schüttelte tadelnd meine Hände. »Wann bin ich jemals höflich gewesen? Du musst mich unbedingt besuchen kommen.«
    Und dann passierte das, was mir bei wichtigen Menschen auf Partys immer passiert: Sie schaute mir über die Schulter. Und ich sah in ihrem Blick, fast sofort und ziemlich unverkennbar, kurz aufflackernde Panik und unmittelbar danach ein kaum wahrnehmbares Kopfschütteln. Ich machte meine Hände los, drehte mich um und sah Paul Emmett. Keine zwei Meter entfernt.
    »Hallo«, sagte er. »Ich glaube, wir kennen uns.«
    Ich drehte mich wieder zu Ruth um. Ich machte den  Mund auf, um etwas zu sagen, brachte aber kein Wort heraus.
    »Ah«, sagte ich. »Ah ...«
    »Paul war mein Tutor. In Harvard, als ich das Fulbright-Stipendium hatte«, sagte sie mit ruhiger Stimme zu mir. Und dann: »Wir müssen miteinander reden.«
    »Ah ...«
    Ich stolperte zurück, rempelte einen Mann an, der schützend die Hand über sein Glas hielt und mich lachend ermahnte, doch nicht so stürmisch zu sein. Ruth sagte irgendetwas, mit ernstem Gesicht, ebenso Kroll, aber das Brummen in meinen Ohren war so laut, dass ich sie nicht hören konnte. Ich sah Amelia, die mich anschaute, winkte ihr matt zu, und dann floh ich aus dem Saal und durch die Lobby hinaus in die hohle, imperiale Pracht der Whitehall.
     
     
    *
     
    In dem Augenblick, als ich auf den Gehweg trat, wusste ich, dass wieder eine Bombe hochgegangen war. In der Ferne heulten Sirenen, und vor der Rauchsäule, die irgendwo hinter der National Gallery in den Nachthimmel aufstieg, sah die Nelsonsäule winzig aus. Ich lief los in Richtung Trafalgar Square und drängelte mich rüde an einem empörten Paar vorbei, dem ich vor der Nase ein Taxi wegschnappte. Alle Fluchtwege im Zentrum Londons waren abgesperrt, wie von einem sich ausbreitenden Waldbrand. Wir bogen in eine Einbahnstraße ein und sahen, dass die Polizei das andere Ende der Straße schon mit gelbem Absperrband abgeriegelt hatte. Der Fahrer bremste, legte den Rückwärtsgang ein und schoss zurück, sodass es mich auf meinem Sitz bis zur Kante nach vorn riss. Und so verharrte ich für den Rest der Fahrt. Ich klammerte mich an den Griff neben der Tür, während er sich durch Nebenstraßen kreuz und quer durch die Innenstadt bis zu meiner Wohnung vorarbeitete. Als er mich zu Hause ablieferte, zahlte ich ihm den doppelten Fahrpreis.
    »Der Schlüssel zu allem liegt in Langs Autobiografie – am Anfang wird alles klar.«
    Ich setzte mich mit dem Buch an den Schreibtisch und fing an, die ersten Kapitel durchzugehen. Seite für Seite glitt mein Zeigefinger in der Mitte der Seite von oben nach unten. Meine Augen huschten über all die erfundenen Emotionen und halbwahren Erinnerungen. Meine professionelle Prosa, gesetzt und gebunden, ließ die Verwerfungen eines Menschenlebens so glatt erscheinen wie eine verputzte Wand.
    Nichts.
    Angewidert wischte ich das Buch vom Tisch. Was für ein wertloser Haufen Müll, eine kommerzielle Verrichtung ohne jede Seele. Ich war froh, dass Lang das nicht mehr lesen konnte. Da war mir das Original lieber: Seine schwerfällige Ernsthaftigkeit hatte etwas Ehrbares. Ich öffnete die Schublade und zog McAras Originalmanuskript hervor. Es war arg ramponiert durch die Dauerbenutzung, an manchen Stellen unter meinen Ausstreichungen und Einfügungen kaum noch lesbar. »Kapitel eins. Langs Schottenclan, so haben sie uns früher immer gerufen. Und wir waren stolz darauf ...« Ich erinnerte mich, wie rücksichtslos ich auf Martha’s Vineyard den unsterblichen Anfang gestrichen hatte. Wenn ich es recht bedachte, jeder einzelne von McAras Kapitelanfängen war grauenhaft gewesen. Keinen hatte ich unverändert gelassen. Ich

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