Ghostman: Thriller (German Edition)
bevor ich die Nadel herausgezogen habe.«
Seine Stimme war kaum noch ein Flüstern. » Bitte, Mann.«
Ich zog die Beretta mit dem Schalldämpfer hervor und hielt sie ihm an den Kopf.
Aus dieser Nähe genügte eine einzige Kugel, um ihn von seinem Leiden zu erlösen, bevor er wüsste, was passierte. Er wäre auf der Stelle tot. Ich drückte die Mündung auf die weiche Stelle zwischen seinen Augen, bis ich sicher war, dass er begriff, was ich ihm anbot.
Ribbons schüttelte den Kopf.
» Bitte«, flüsterte er. » Den Schuss.«
Ich zögerte. Ihm eine Kugel in den Kopf zu jagen, damit wurde ich fertig. Ich hatte schon öfter jemanden erschossen, und ich wusste, wie es gehen würde. Der Abzugswiderstand müsste überwunden werden, der Schlagbolzen würde fallen, die Mündung würde Feuer spucken, und Ribbons’ Gehirn würde an die Wand spritzen. Es wäre so, als legte ich einen Schalter um. Er würde gar nichts spüren. Eine tödliche Überdosis war etwas ganz anderes. Ich hatte keine Ahnung, wie lange es damit dauern würde. Ich wusste nicht, wie viel ich ihm geben musste. Ich war nicht darauf vorbereitet. Ich sagte mir, ich wollte es nicht vermasseln, aber das war nicht der wahre Grund, weshalb ich es nicht tun wollte. Es war überhaupt nicht der Grund.
Meine Mutter ist an einer Überdosis Heroin gestorben.
Ribbons flüsterte etwas, doch es war so leise, dass ich es nicht verstand. Das Geräusch riss mich aus meinen Gedanken. Die Blutlache um ihn herum wurde größer. Bis jetzt war es mir nicht aufgefallen, aber jetzt sah ich es. Alle paar Minuten wurde sie um den Bruchteil eines Zentimeters breiter, wie die Pfütze unter dem Haarriss in einer Wasserleitung. Seine Lippen bewegten sich, aber kein Laut kam mehr aus seinem Mund. Vielleicht redete er mit jemandem, der nicht hier war. Vielleicht verabschiedete er sich, und sei es nur von sich selbst.
Sein Atem ging pfeifend. Ein, aus. Ein, aus.
Ich hob das Heroin vom Boden auf.
In dem Nylonbeutel neben der Munition waren ein Suppenlöffel und eine kleine Packung Wattebäusche. Ich legte die Spritze, das Heroin und die Watte neben Ribbons auf den Boden. Dann bröselte ich eine kleine Menge der braunen Substanz auf den Löffel, ging damit in die Küche und ließ ein paar Tropfen Wasser aus dem Hahn darauf träufeln. Ich hielt den Löffel über das brennende Feuerzeug, und es dauerte nicht lange, bis das Wasser sprudelnd kochte und das Heroin sich darin auflöste. Ich legte das Feuerzeug weg und gab etwas Watte auf den Löffel, stach mit der Nadel hinein und zog die Heroinlösung vorsichtig in die Spritze, wobei die Watte als Filter diente. Mit dem Fingernagel klopfte ich die Luftblasen aus der Spritze und sah Ribbons an. Sein Mund klappte auf und zu wie bei einem Fisch, der nach Luft schnappt.
Ich nahm meinen Gürtel ab und rutschte auf den Knien zu ihm heran.
Er schob den rechten Arm zwischen meine Beine. Das Blut an seiner Hand beschmierte meine Hose und durchtränkte die Knie. Ich krempelte ihm den Ärmel hoch und schlang langsam den Gürtel um seinen Oberarm. Dann klopfte ich mit dem Finger auf die Ellenbeuge, bis die Venen unter der Haut hervortraten. Streifen zogen sich von da, wo sich wieder und wieder die Nadel hineingebohrt hatte, bis zu seiner Schulter hinauf. Es dauerte fast eine Minute, bis ich eine brauchbare Ader gefunden hatte. Sollte ich danebenstechen, würde ich unabsichtlich in den Muskel spritzen, würde das Sterben noch langsamer und schmerzhafter werden, denn die Injektion würde brennen bis zu dem Augenblick, da die Überdosis ihn tötete.
Ich stach die Kanüle in den Arm. Sie drang seitwärts an der Vene entlang ein, bis sie die dunkelbraune Runzel erreichte, die für mich die Stelle markierte, die er schon oft benutzt hatte. Ich zog den Kolben ein kleines Stück zurück, und etwas Blut drang in die Spritze und erblühte wie eine Blume in der braunen Flüssigkeit.
» Bitte«, flüsterte Ribbons.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
Ich drückte den Kolben hinunter und sah, wie die Haut rot anlief. Als die Spritze leer war, zog ich die Nadel heraus und legte sie auf den Boden. Ich löste den Gürtel von seinem Arm. Es war erledigt.
Es ist schwer, einem Mann beim Sterben zuzusehen. Ein paar Sekunden, nachdem ich ihm den Schuss gesetzt hatte, begann Ribbons es zu spüren. Der Schmerz verließ sein Gesicht. Seine Augen öffneten sich weit, als wache er auf, und sein Seufzer klang nach Erleichterung. Für einen Augenblick, nur für einen
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