Ghostman: Thriller (German Edition)
ich hinaus und tiefer in das stille Haus hinein. Im Schlafzimmer standen immer noch ein altes Bettgestell und eine Kommode, aber es fühlte sich leer an, und die Schatten überall erfüllten mich mit Unbehagen. Ribbons hatte nie die Chance gehabt, hier zu wohnen. Das Haus hatte nie eine Seele bekommen.
Ich watete durch die Dunkelheit und folgte meinem Tastsinn. Das Licht von draußen bohrte sich durch die Risse in den Sperrholzplatten wie rote Laserstrahlen. In der Ferne hörte ich die Autos, die auf dem Highway vorüberrauschten.
Das Geld war im Wandschrank.
Ich wusste, was es war, ohne dass ich die blutfleckige blaue Kevlartasche zu öffnen brauchte. Ich hob sie auf und ging zur Haustür, aber bevor ich dort war, blieb ich stehen. Ribbons konnte kaum den Kopf heben, als er zu mir herüberschaute. Es war, als lastete ein Berg von tausend Ziegelsteinen auf ihm, und jede kleine Bewegung kostete monumentale Anstrengung. Seine Lippen bewegten sich, aber kein Wort kam aus seinem Mund. Vielleicht betete er.
» Wasser.«
» Ja, okay«, sagte ich. » Ich bringe dir Wasser.«
Ich ließ ihn allein in diesem Zimmer, aber nur eine Minute. Die Küche lag zwei Türen weiter neben dem Wohnzimmer und hatte eine Essecke. Ich tastete mich durch die Dunkelheit und drehte den Wasserhahn auf. Er schnaufte kurz, aber dann kam das Wasser. Ich öffnete die Schubladen, alle waren leer. Also formte ich eine Schale aus meinen Händen und ließ Wasser hineinlaufen. Dann watete ich durch die Dunkelheit zurück ins Wohnzimmer. Ribbons’ Finger zuckten, als er sah, was ich tat.
» Bitte«, sagte er.
Fluchend kniete ich mich vor ihm in die Pfütze aus Blut und Kotze. Ich hielt ihm die Hände an die Lippen und ließ ihm das Wasser in den Mund und über das Kinn laufen. Er trank, als könne er gar nicht genug bekommen, und bat um mehr. Ich wiederholte meine Expedition und brachte ihm welches. Dabei sprach ich nicht, sondern sah nur zu, wie er trank. Als er fertig war, schwiegen wir eine Weile. Das alte Haus knarrte und wisperte. Ich kniete vor ihm, und er bemühte sich, mich nicht aus den Augen zu lassen. Alles war still.
Dann sagte Ribbons: » Ein Schuss.«
» Ja«, sagte ich. » Eine Kugel ist durchgekommen. Du stirbst.«
Er schüttelte kaum merklich den Kopf, und seine Finger zuckten wieder. Ich folgte seinem Blick und sah eine schwarze Nylontasche in der Ecke, knapp außer Reichweite für ihn.
» Schuss«, röchelte er.
Ich zog die Tasche zu uns heran. Sie enthielt eine Schachtel Einmalhandschuhe, ein Feuerzeug und eine Injektionsspritze. Langsam und unter Schmerzen deutete er auf die Seitentasche. Darin fand ich einen sandwichgroßen, mit einem Bindedraht verschlossenen Plastikbeutel, gefüllt mit ein paar Bröseln einer braunen Substanz, die aussah wie Pfannkuchenteig.
» Schuss«, keuchte Ribbons.
Was ich da sah, war ein halbes Gramm Heroin.
» Bitte«, sagte er. » Schuss.«
Es gibt wenig auf der Welt, das ich mehr hasse als Heroin. Ich hasse es mehr als Leute, die Kinder zum Sex verkaufen. Ich hasse es mehr, als eine Frau zu töten. Ich hasse es mehr als das Gefühl, das ich bekomme, wenn ich so lange allein gewesen bin, dass ich in den Spiegel starren und das Sprechen üben muss, bis meine Stimme wieder menschlich klingt. Es gibt nur wenig auf der Welt, das mich derart in Rage bringt. Aber hier war es. In meiner Hand.
Ribbons wollte, dass ich ihn umbrachte.
Ein Schuss Heroin wäre tödlich. Ribbons hatte so viel Blut verloren, dass sein Körper damit nicht mehr fertigwerden würde. Eine normale Dosis würde ihn mit doppelter Wucht treffen– so als trinke man nach dem Blutspenden eine Flasche Tequila. Schon die geringste Menge konnte eine Überdosis sein oder zumindest seine Atmung verlangsamen. In diesem Zustand konnte er unter seinem eigenen Gewicht ersticken. Wenn ich ihn allein auf dem Boden verbluten ließe, würde er vielleicht noch sechs oder sieben Stunden leben. Wenn ich ihm den Schuss setzte, wäre er in ein paar Minuten tot. In ein paar Sekunden, wenn ich mich mit der Dosis vertat. Und ich würde mich vertun. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch kein Heroin abgemessen.
Ribbons wandte den Blick seiner stumpfen, blutunterlaufenen Augen die ganze Zeit nicht von mir. Er atmete ein und aus, und ich hörte das ekelhafte Geräusch der Flüssigkeit, die sich auf dem Grund seiner Lunge sammelte.
» Wenn ich dir das gebe«, sagte ich, » stillt es die Schmerzen nicht. Dazu hast du zu viel Blut verloren. Du bist tot,
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