Ghostman: Thriller (German Edition)
Mann, für den man arbeitete. Er war noch keine Kartellgröße, sondern Jugmarker im Hauptberuf. Er plante Banküberfälle, wie Mozart Musik schrieb. Großartig und wunderschön, und sie brachten unglaublich viel Geld ein. Vor fünf Jahren wollte jeder bei einem seiner Jobs mitmachen, denn alles, was er anfasste, verwandelte sich in Gold. Natürlich gab es auch damals schon eine dunkle Seite. Ich hatte gerüchtweise gehört, was mit jemandem passierte, der ihn enttäuschte. Aber das waren Gerüchte. Mit eigenen Augen sah ich, was mit denen passierte, die erfolgreich waren. Sie stiegen reich ins Flugzeug. Sehr reich.
Zwei Tage später saßen Angela und ich mit den anderen in einem Charterjet und flogen von Los Angeles nach Kuala Lumpur. Der Jet gehörte Marcus, aber er flog nicht mit. Er würde das ganze Unternehmen von Seattle aus per Satellitentelefon leiten. Er saß hinten in seinem Restaurant, selbstherrlich wie Cäsar, aber keiner von uns beschwerte sich. Er würde uns reich machen.
Ich war es, der die Sache vermasselte.
SECHS
Der Flug nach Atlantic City dauerte fünf Stunden.
Der Jet war eine Cessna Citation Sovereign, ein mittelgroßes, zweistrahliges Flugzeug von der Größe eines Sattelschleppers mit einer Reichweite von ungefähr dreitausend Meilen. Sie wartete vollgetankt, als ich am Gate eintraf, und es gab keine Sicherheitskontrolle. Der Mann an der Flughafeneinfahrt warf einen Blick auf Marcus’ Limo und winkte uns durch. Wir hielten neben der Maschine auf dem Rollfeld an, und ich ging geradewegs die Treppe hinauf. Ich gab den Piloten die Hand, aber wir sparten uns die Vorstellung, denn dazu war keine Zeit. Fünf Minuten später waren wir in der Luft. Wir hatten zweieinhalbtausend Meilen vor uns.
Ich hatte eine Schultertasche aus schwarzem Nylon dabei. Marcus hatte mir genug Zeit gegeben, um ein paar Sachen aus meinem Apartment zu holen. In der Tasche hatte ich den .38er Colt mit dem abgefeilten Schlagbolzensporn, den Marcus mir zurückgegeben hatte. Eine Zahnbürste. Rasierzeug, Schminke, Haarfarbe. Lederhandschuhe. Ein paar Pässe, Führerscheine, Ausweiskarten, zwei Wegwerftelefone mit anonymen Prepaid-Karten. Die fünf Riesen von Marcus und drei schwarze VISA -Corporate-Cards mit verschiedenen Namen. Ganz unten lag ein zerlesenes Exemplar von Ovids Metamorphosen, übersetzt von Charles Martin. Ich reise immer mit leichtem Gepäck.
Ich war aufgeregt. Es war lange her, dass ich einen solchen Job hatte. Ich bin sehr wählerisch. Wenn ich nicht arbeite, scheint die Zeit wie im Nebel zu vergehen. Die Tage fließen ineinander, dann die Wochen, wie ein Tonband im schnellen Vorlauf. Ich sitze in meinem Apartment am Schreibtisch vor dem Fenster und sehe zu, wie die Sonne aufgeht. Ich lese die griechischen und lateinischen Klassiker wieder und übersetze sie auf gelbem Notizpapier, manchmal auch ins Deutsche oder Französische. An manchen Tagen sitze ich wirklich nur da und lese. Meine Übersetzungen erstrecken sich über Hunderte von Seiten. Aischylos, Cäsar, Juvenal, Livius. Die Lektüre ihrer Werke hilft mir beim Nachdenken. Wenn ich keinen Job habe, habe ich auch keine eigenen Worte.
Das hier war es, worauf ich gewartet hatte– auf einen Job, der ausnahmsweise nicht langweilig sein würde.
Die Cessna war innen wunderschön. Ich war noch nie mit diesem Modell geflogen, aber sie war wie die meisten anderen Privatjets, die ich kannte. Sie hatte eine Nase wie ein Raubvogel und zwei große Triebwerke unter dem Schwanz. Die Beschleunigung beim Start fühlte sich an wie auf einer Achterbahn, doch als wir eine Höhe von fünfeinhalb Meilen erreicht hatten, war das Fliegen entspannt und das Triebwerksgeräusch minimal. Die Maschine hatte acht Sitze– plus zwei für die Piloten–, und die unverbindliche Preisempfehlung lag bei knapp zwanzig Millionen. Für so viel Geld war jeder Platz First Class. Im hinteren Teil der Kabine stand eine ausgewachsene Bar, unter der Decke hing ein Flatscreen-Fernseher, auf dem ein Vierundzwanzig-Stunden-Nachrichtensender lief, neben der Kaffeemaschine stand ein Satellitentelefon, und es gab drahtlosen Internetanschluss. Als der Kopilot nach hinten kam und sagte, ich könne jetzt aufstehen, machte ich mir eine Kanne Kaffee. Mir war noch unbehaglich. In diesen Dingern kann man mit Mühe aufrecht stehen.
Ich nahm die Kaffeekanne mit zu meinem Platz, goss mir eine Tasse ein und trank. Dann schenkte ich mir noch eine ein und schlug mein Buch auf. Irgendetwas machte mich
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