Ghostman: Thriller (German Edition)
es mit 1111 und 4444 für den Fall, dass die Werkseinstellung nicht verändert worden war. Aber nichts rührte sich. Ich schaute am Zaun hinauf. Die Aussicht, daran hinaufzuklettern und mich durch die Chrom-Nickel-Spiralen aus rasiermesserscharfem Stacheldraht zu winden, gefiel mir nicht. Ich starrte einen Moment lang auf den Draht und dann wieder auf das Tastenfeld.
Ich holte den Autoschlüssel aus der Tasche, fummelte das Mietwagenlogo vom Ring und warf es weg. Jetzt sah der Schlüssel aus wie jeder andere. Wenn ich den elektronischen Teil in der Hand verbarg, konnte es der Schlüssel zu allem Möglichen sein. Ich ging zum Wagen zurück, nahm den Mietvertrag aus dem Handschuhfach, löste die Heftklammer mit dem Fingernagel, steckte sie in die Tasche und legte die Papiere wieder ins Handschuhfach. Ich stieg aus und ging geradewegs zum Büro.
Wenn du jemanden dazu bringen willst, dich in einen gesicherten Bereich hineinzulassen, musst du aussehen, als wärest du befugt. Willst du zum Beispiel bei einer bestimmten Schweizer Bank an ein Nummernkonto herankommen, musst du einen rechteckigen Unzenbarren Gold bei dir haben, denn bei bestimmten Schweizer Banken gehört ein Goldbarren zum Ausweis für ein Nummernkonto dazu. Wenn das Teil in deiner Hand ein mit Goldfarbe besprühtes Stück Blei mit einem Hologramm-Aufkleber ist, macht das nichts, solange es echt aussieht. Wenn ich also jemanden dazu bringen wollte, mir das Tor aufzuschließen, musste es aussehen, als hätte ich den Schlüssel zu einem der Container. Er würde nicht sehen, wie ich ihn benutzte, und eigentlich würde er nicht mal sehen, dass ich ihn hatte, aber er musste glauben, dass er da war. Manchmal ist ein einzelnes Detail die ganze Tarnung, die man braucht.
Der Junge hinter der Theke war vielleicht achtzehn. Seine Haut hatte die Farbe von Kürbismus, und er trug eine schmutzige Uniform. Er saß auf einem Bürostuhl hinter der Theke vor dem Fernseher. Er sah mich, aber er stand nicht auf.
» Das Tor funktioniert nicht«, sagte ich.
Der Junge blickte nicht zu mir auf. » Haben Sie die richtige Zahl eingegeben?«
» Ja«, sagte ich und ließ ein bisschen Ärger durchklingen.
» Welches Tor haben Sie benutzt?«
» Das vordere.«
» Versuchen Sie’s noch mal. Ich bin heute Morgen da durchgegangen.«
» Ich sage doch, ich war gerade da, und das Tor funktioniert nicht.«
Der Junge seufzte und sah mich an. Natürlich kannte er mich nicht, aber ich glaube, das fiel ihm gar nicht auf. Er winkte mir nur, ihm zu folgen, als habe er es satt, jeden gottverdammten Tag das Gleiche zu tun. Wir gingen hinaus und zum Tor, und ich deutete in einer frustrierten Geste mit meinem Schlüssel auf das Tastenfeld. Als habe er es mit einem idiotischen Kind zu tun, drückte der Junge nacheinander auf die Tasten und sprach dabei die Ziffern laut aus, falls mein Gehirn zu langsam sein sollte, das alles mitzubekommen. Das Tor summte, und die Verriegelung sprang auf. Ich sah ihn schockiert an. Er sollte denken, dass er mich ausgetrickst hatte, und dann tat ich verlegen. Ich spürte, wie meine Wangen rot wurden.
» Aber Ihren Schlüssel haben Sie nicht vergessen?«, sagte er.
Ich hielt den Autoschlüssel hoch, ließ ihn aber nur das gezackte Metall sehen.
Der Junge nickte. » Schreiben Sie sich den Code auf, okay? Nicht dass Sie ihn beim nächsten Mal wieder vergessen.«
Als er weg war und ich das Tor hinter mir hatte, steckte ich den Schlüssel ein und ging zwischen den Reihen der Einheiten hindurch, bis ich den Container mit der großen, nachlässig gepinselten 21 gefunden hatte. Ribbons’ Container. Die Glückszahl einundzwanzig. An der Tür hing ein Vorhängeschloss, ein schlüsselgeöffnetes Medeco-Doppelzylinderschloss, das wahrscheinlich vom Platzbetreiber gestellt worden war. Die Türflügel wurden von einer Kette zusammengehalten.
Keine Spur von Ribbons. In Anbetracht des unberührten Schlosses war er womöglich überhaupt nie hier gewesen und hatte vielleicht auch gar nicht die Absicht gehabt herzukommen. Nach allem, was ich wusste, konnten Ribbons und Moreno von Anfang an vorgehabt haben, Marcus’ Treffpunkt nicht aufzusuchen.
Ich holte die Heftklammer heraus und bog sie mit dem Finger so zurecht, dass an einem Ende eine Reihe von sehr kleinen Wellen zustandekam. Meinen Krawattenclip benutzte ich als Drehmomentschlüssel. Ich beugte mich tief über das Schloss, um es genau anzusehen. In der Hitze und vor allem ohne richtiges Werkzeug war es nicht leicht zu
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