Ghostman: Thriller (German Edition)
auf dem alten zweispurigen Highway durch die Salzwiesen bis zur Route 30, wo die Absecon Bay sich wie die Vene eines Junkies durch das Flachland schlängelte. Auf Atlantic City zuzufahren war genauso wie die Fahrt nach Las Vegas. Beide Highways waren leer und gesäumt von den verblichenen Reklametafeln und Casino-Schildern, die ich aus meiner Kindheit in Erinnerung hatte. Das Marschland am Rand des Highways ließ mich an die Wüste denken. Flach, heiß und leer. Meilenweit wuchs kaum etwas, das höher war als niedriges Buschwerk. Die Casino-Türme schimmerten am Horizont wie eine Fata Morgana. Der Honda fuhr sich mühelos und leicht.
Ich flog an einer Reklametafel vorbei, auf der stand: The Atlantic Regency. Eine vollkommen andere Welt.
Als ich mich der Stadt näherte, schmeckte ich das Salz in der Luft. Ich ließ die Klimaanlage rauschen und folgte den Anweisungen des Navi auf meiner Ablage. Im Five Star hatte Marcus einen Mietcontainerplatz im Norden der Stadt erwähnt. Ruf mich an und warte. Wenn es diese Mietcontainer wirklich gab, wäre das meine erste Station. So viel war ich Ribbons schuldig. Nicht jeder, der sich nach einem Überfall nicht meldet, will abtauchen. Manche haben plausible Erklärungen dafür, dass sie incommunicado waren, und nicht alle sind Lügner. Telefonakkus sind leer. Nummern gehen verloren. Man gerät in einen Bereich ohne Mobilfunknetz. Schön, das klingt unwahrscheinlich nach so vielen Monaten der Planung, aber so was passiert. Wenn Ribbons sein Telefon bei der Schießerei einfach kaputt gemacht oder in einem Augenblick der Panik verloren hatte, dann war es immer noch denkbar, dass er es zu dem Containerplatz geschafft hatte. Vielleicht war er in diesem Moment da und hoffte und betete, Marcus möge jemanden wie mich schicken, nicht einen Kerl mit einem Glas Muskatpulver und einer Kneifzange. Ich war es ihm schuldig anzunehmen, dass er unschuldig war. Zumindest vorläufig.
Ich sah das Schild schon fast eine halbe Meile vorher– ein anschwellender Punkt am Horizont. Der Platz lag zwischen den Ausläufern der Stadt und der unbewohnbaren Salzmarsch, die Atlantic City vom restlichen Festland trennt, und es sah aus, als wäre schon seit Längerem keiner mehr dort gewesen. Die Einheiten waren alte stählerne Frachtcontainer, die einfach hier in die Marsch gestellt und mit einem fünf Meter hohen Stacheldrahtzaun umgeben worden waren. Auf dem unbefestigten Parkplatz stand eine Aufseherbaracke aus vorgefertigten Gipsputzplatten, und das Schild hatte Räder. Ich hielt an und stieg aus. Es war, als beträte ich eine Waschküche. Der Geruch von stehendem Gewässer und rostigen Containern prallte mir entgegen wie ein Schlag ins Gesicht. Ich hatte den Platz noch nicht überquert, als mein Hemd schon nass geschwitzt war.
Solche Lagereinheiten bieten eine Komplettlösung für viele der Probleme, die bei einem Raub auftreten können. Natürlich kriegt die Aufsicht mit, wenn man anfängt, dort zu übernachten, aber wenn man sich schnell und unauffällig zurückziehen will, gibt es kaum etwas Besseres als solche Containerlager. Für hundert Dollar kann man zehn Quadratmeter einen Monat lang mieten. Solange man die Miete bezahlt, kann man in seinem Container alles lagern. Die meisten Firmen wollen, dass man seinen Führerschein vorzeigt und einen Zettel unterschreibt, auf dem man versichert, dass man das Ding für nichts Illegales benutzen will, aber sie können kaum etwas tun, um einen daran zu hindern. Wenn man nur ein paar Stunden unsichtbar sein möchte, ist so ein Versteck allemal besser als ein Motel.
Ich spähte durch den Zaun zu den Reihen der rostigen Frachtcontainer, und schon auf den ersten Blick wusste ich, dass Ribbons nicht da sein würde. Wenn dein Gesicht im Fernsehen war, ändert sich alles. Plötzlich musst du an den gelangweilt aussehenden Jungen denken, der vor zwei Monaten zugesehen hat, wie du die Papiere unterschrieben hast, und du fragst dich, ob er dich bei einer Gegenüberstellung erkennen würde. Ribbons würde sich hier beengt fühlen, und seine Paranoia würde alle weiteren Entscheidungen treffen.
Aber Ribbons hatte hier einen Container angemietet.
Es lohnte sich, einen Blick hineinzuwerfen.
Ich ignorierte die Bürobaracke und ging direkt zum Tor. Über der Klinke war ein elektrischer Schaltkasten mit einem gewöhnlichen Ziffernblock. Man drückt vier Ziffern, und die Magnetverriegelung löst sich und öffnet das Tor, auch wenn die Aufsicht nicht da ist. Ich versuchte
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