Ghostman: Thriller (German Edition)
Insignien des Hotels. Mandarin Oriental, Kuala Lumpur. Das Namensschild behauptete, sie heiße Mary. Ich weiß nicht, woher sie die Uniform hatte, aber sie sah überzeugend darin aus, sogar als weiße Frau in einer asiatischen Stadt. Ihr Make-up war perfekt. Sie trug den dicken Lidschatten einer erschöpften Hotelangestellten. Ihre Schuhe waren flach und abgelaufen. Ich schaute aus dem Fenster. Die Sonne spiegelte sich bereits in den benachbarten Wolkenkratzern.
Ich stellte den Wecker ab.
Angela war von energischer Schönheit– sie war Schauspielerin, und sie hatte auf dem College die Ausbildung dazu erhalten, während ich auf dem College immer nur gelesen und lateinische und griechische Texte übersetzt hatte. Nicht mal ins Theater war ich gegangen, weil mir das ganze Konzept der Schauspielerei fremd gewesen war. Ich wollte keine Aufmerksamkeit, ich wollte Anonymität. Ich wollte meine Übersetzungen anfertigen und in Ruhe gelassen werden. Angela änderte das alles. Sie zeigte mir, wie ich, indem ich niemand war, jeder sein konnte, der ich sein wollte. Sie gab mir meine eigentliche Ausbildung. Ich kopierte Unterschriften, bis ich jede Handschrift nachahmen konnte. Ich lernte, die Muskeln in meinem Kehlkopf so zu verformen, dass ich mit jeder Stimme sprechen konnte. Ich studierte die Unterschiede in Körperhaltung und Syntax. Aber vor allem brachte Angela mir bei, dass ich nicht perfekt, sondern überzeugend sein musste. Einmal gab sie mir eine Spielzeug-Polizeimarke und befahl mir, ihr ein Beweisstück von einem echten Tatort zu bringen. Ich ging unter dem gelben Absperrband hindurch, hob mit einer Pinzette eine Patronenhülse auf, tat sie in einen Plastikbeutel und ging weg. Das war eine meiner letzten Prüfungen, die ich bei ihr ablegen musste. Daran erkannte sie, dass ich so weit war.
An jenem Morgen rutschte ich zur Bettkante und setzte mich auf. Sie sah mich mit verschränkten Armen an, erklärte, sie mache jetzt Kaffee, und verschwand. Als ich aus der Dusche kam, erwartete sie mich mit einer Tasse Kaffee ohne Sahne und ohne Zucker und befahl mir, meinen Arsch zu bewegen.
Sie wartete niemals gern auf etwas.
Die Videokonferenz mit Marcus fand im Wohnzimmer unserer Suite statt. Mitten auf dem Tisch lagen zwölf kleine goldene Schlüssel, zwei für jeden von uns, mit Ausnahme des Wheelmans, Alton Hill, der nur fahren würde. Wir wussten da noch nicht, wozu die Schlüssel gehörten, aber das sollten wir bald erfahren. Vorerst wussten wir nur, dass wir auf sie achtgeben und sie während des ganzen Unternehmens immer bei uns tragen sollten. In dem Zimmer stand ein großer Flachbild-Fernseher, und eine leuchtende grüne Kamera war per Draht mit ihm verbunden. Internet-Videokonferenzen waren damals noch nicht so alltäglich wie heute. Ich weiß noch, wie fasziniert ich war, als Marcus’ Gesicht zuckend und ruckelnd auf dem Bildschirm erschien. Bei ihm, fast achttausend Meilen weit entfernt, war es mitten am Nachmittag, doch es kam mir vor, als sei er bei uns im Raum. Wir setzten uns an den Tisch, und er erklärte den Job. Um alles zu schaffen, würden wir sofort anfangen müssen. Keine Fragen, keine Bedenken mehr. Seine Stimme klang sachlich, und er sprach langsam, damit wir alles mitbekamen.
» In zwei Wochen«, sagte er, » ist jeder von euch um zweieinhalb Millionen Dollar reicher.«
Die Beute war eine Riesenladung Bargeld für den Devisenmarkt, dessen Wert davon abhing, wen man zu welcher Tageszeit fragte. Die Summe läge– je nach Kurs– in einem Bereich zwischen siebzehn und achtzehn Millionen Dollar. Yen, Baht, Yuan, Ringgit und so weiter. Trotz Travellerschecks und Kreditkarten fanden immer noch riesige Summen dieser Papierwährungen jeden Monat den Weg nach Übersee.
Ein in Deutschland beheimatetes Devisenhandelsunternehmen war unser Ziel. Sie transportierten ihre überall verteilten asiatischen Währungen hierher zurück, um es dann in die regionalen Wirtschaftskreisläufe zurückzupumpen.
Schauplatz war die Bank of Wales, ein Unternehmen der Hochfinanz in einem Büroturm an der Jalan Ampang. Dort wurde das Geld gezählt und vorübergehend im Tresor gelagert, bevor man es verpackte und mit gepanzerten Transportfahrzeugen zum Flughafen und weiter in die Herkunftsländer beförderte. Die einzelnen Lastwagen enthielten immer nur Devisen im Wert von höchstens anderthalb Millionen Dollar und fuhren immer zur vollen Stunde. Der Tresor gehörte zur Spitzenklasse. Zeitschaltung mit Verzögerung,
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