Ghostman: Thriller (German Edition)
der Eingangstür waren Briefschlitze mit handbeschrifteten Namensschildern. Die Graffitis an der verputzten Wand sahen aus wie schlechte moderne Kunst. Die Fenster im Erdgeschoss waren vergittert.
Sogar reiche Gangster nehmen sich billige Buden. Arme Leute leben leichter anonym als reiche. Slumlords verlangen keine Quittungen, keine Referenzen, keine Lichtbildausweise in zweifacher Ausfertigung. Sie verlangen Barzahlung für zwei Wochen im Voraus, und sonst gar nichts.
Ich ging hinein.
Ribbons’ Zimmer lag im Erdgeschoss. Ich ging ein paar Stufen hinauf und einen staubigen Korridor mit einer durchgebrannten Glühlampe hinunter. Die Zimmernummer war über den Türspion genagelt. Neben dem Türknauf waren kleine Risse in der Tür, wo jemand mit einem sehr langen Schraubenzieher und beträchtlichem Kraftaufwand versucht hatte, den Riegel aufzuhebeln. Das Holz rings um das Schloss hatte als Erstes nachgegeben, und der stumpfe Stahlriegel war mit Gewalt durch den Türrahmen und zur anderen Seite hinausgedrückt worden. Alles gibt nach, wenn der Druck groß genug ist. Ich trat einen Schritt zurück.
Die Polizei öffnet Türen nicht mit einem halbmeterlangen Schraubenzieher. Wenn sie mit einem Durchsuchungsbeschluss zu jemandem kommen, der nicht zu Hause ist, benutzen sie in neun von zehn Fällen einen Generalschlüssel, den sie von einem Nachbarn oder vom Vermieter bekommen haben. Wenn das nicht klappt, versuchen sie es mit einem Dietrich. Klappt das auch nicht, öffnen sie die Tür normalerweise mit Hilfe der Feuerwehr oder mit einer Ramme, aber das sind wirklich die beiden letzten Möglichkeiten und hinterlassen ganz andere Aufbruchsspuren. Nein, die Polizei war das nicht gewesen. Jemand anders war mir zuvorgekommen.
Ich schaute im Gang auf und ab. Ein Bolzenschloss aufzustemmen macht ziemlich viel Krach. Es dürfte laut genug gewesen sein, um Nachbarn aufmerksam zu machen, aber selbst wenn sie etwas gehört hatten, hatten sie wahrscheinlich nichts unternommen. In dem Zimmer gegenüber hörte ich einen Fernseher. Kein Mensch ruft mehr die Polizei. Niemand hilft.
Ich zog Grimaldis Pistole und überprüfte den Schalldämpfer, und dann stieß ich die Tür mit dem linken Fuß langsam auf. Träge drehte sie sich in den Angeln, das Geräusch klang wie Fingernägel auf einer Schiefertafel. Ich spähte hinein, bevor ich über die Schwelle trat. Ich klärte das vordere Zimmer, dann das Bad und die Küche. Ein Schlafzimmer gab es nicht. Im vorderen Zimmer stand ein Klappbett vor einem alten Farbfernseher. Die senkrechten Gitterstäbe vor den Fenstern warfen lange Schatten über den Boden. Ich inspizierte Wandschrank und Kühlschrank.
Niemand zu Hause.
Ich steckte die Waffe ein und schloss die Tür.
Ribbons war penibel gewesen. Ich hatte erwartet, dass seine Bude mit altem Zigarettenpapier, Pizzaschachteln und leeren Bierdosen vermüllt sein würde, aber das Zimmer war leer und sauber wie eine Gefängniszelle. Die Wände waren kahl, und seine Klamotten waren offensichtlich alle in der kleinen schwarzen Samsonite-Reisetasche verstaut, die auf dem Boden stand. Die Bettwäsche lag zusammengeknüllt am Fußende der Pritsche, und zugebundene Mülltüten standen neben der Tür. Überall roch es nach scharfem Reinigungsmittel und Desinfektionsspray, als sei hier erst kürzlich geputzt worden.
Ich fing an, seine Sachen zu durchsuchen. Ich zog die Bettwäsche von der Pritsche und die Schubladen aus der Kommode. Ich durchwühlte die Küche. Neben dem Kühlschrank waren eine Kochplatte und ein einzelner Stieltopf, und in der Spüle lagen Messer, Gabel und Löffel. Im Mülleimer fand ich zwei leere Dosen Hühnersuppe mit Nudeln. Die Küchenschubladen waren leer. Als Nächstes nahm ich mir das Bad vor. Neben dem Waschbecken lag eine Packung mit Klingen, aber kein Rasierer und keine Rasiercreme. In der Dusche war ein Stück Seife, noch in der Verpackung. Unter dem Waschbecken sah ich eine Dose Scheuermittel und zwei Rollen Toilettenpapier. Am Spiegel, zwischen Glas und Rahmen, klemmte das Foto einer älteren Schwarzen, vermutlich Ribbons’ Mutter, und die Visitenkarte eines Immobilienmaklers, auf der mit blauer Tinte eine Nummer notiert war. Ich zog die Karte heraus und drehte sie um. Auf der Rückseite stand: blau, viktorianisch, Virginia.
Rauschgiftkonsumenten haben alle möglichen Verstecke für ihren Stoff. In Headshops kann man Behälter kaufen, die aussehen wie die Verpackung normaler Haushaltsprodukte, aber mit Geheimfächern
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