Ghostwalker 04. Fluch der Wahrheit
Menschenwelt hatte er sich bisher von der Tuolumne Rancheria so weit entfernt gehalten wie nur irgend möglich. Dabei hatte er bis vor wenigen Minuten noch nicht einmal gewusst, ob sein Vater wirklich dorthin zurückgekehrt war, nachdem er Torik und seine Mutter verlassen hatte. Doch das war die einzige Erklärung für Caitlins Wissen, die einen Sinn ergab. Die Informationen in ihrem Buch waren zwar veraltet, aber so akkurat, dass sie nur von jemandem stammen konnten, der irgendwann einmal in der Gruppe gelebt hatte.
Und es gab nur einen Menschen, den er mit der Tuolumne Rancheria in Verbindung brachte: Tenaya Colston. Sein Vater war dort geboren worden und im Alter von siebzehn Jahren Toriks Mutter Hazel in den Wald gefolgt. Danach hatte er dann fünfzehn Jahre scheinbar glücklich in der Gruppe gelebt, bis er plötzlich verschwunden war. Seine Mutter hatte Torik nur gesagt, dass er zu den Menschen zurückgekehrt sei und sie nun ohne ihn weiterleben müssten. Es war ihm mit zehn Jahren schwergefallen, das einzusehen, und er hatte immer auf die Rückkehr seines Vaters gewartet. Doch mit der Zeit hatte er es aufgegeben. Seine Liebe war inzwischen zu Hass geworden. Ginge es nicht um das Wohl der Gruppe, wäre es ihm nie in den Sinn gekommen, nach Tenaya zu suchen.
Als er glaubte, seine Gesichtszüge halbwegs unter Kontrolle zu haben, drehte er sich wieder zu Caitlin um. Die Besorgnis in ihrem Blick zeigte ihm, dass er sie nicht täuschen konnte. Sie wartete offensichtlich auf eine Erklärung, doch dazu war er momentan nicht fähig. Er musste sie jedoch mitnehmen, denn nur sie konnte die Identität des Verräters einwandfrei bestätigen.
Mit zusammengebissenen Zähnen hob er seine Tasche auf und ging zur Tür. »Gehen wir.«
Caitlin kam auf ihn zu und blieb dicht vor ihm stehen. »Es tut mir wirklich leid, Torik, ich wollte euch nicht schaden.«
Ein wenig Wärme breitete sich wieder in Torik aus. Er legte seine Hand an ihre Wange. »Ich weiß.« Auch wenn er anfangs bereit gewesen war zu glauben, dass Caitlin über sie Bescheid wusste oder sogar mit den Verbrechern gemeinsame Sache machte, hatte er nun keinen Zweifel mehr, dass sie unschuldig war. Wenn man sie etwas näher kannte, konnte man ihr jeden Gedanken an ihren ausdrucksvollen Augen ablesen.
Torik ließ die Hand sinken und öffnete die Tür. Aufmerksam beobachtete er den Flur, bevor er Caitlin erlaubte, den Raum zu verlassen. Auch wenn er bisher noch keinen Verfolger gesehen oder gerochen hatte, konnte es immer noch sein, dass jemand hinter Caitlin her war. Auf keinen Fall würde er zulassen, dass ihr etwas geschah. Torik verdrängte den Gedanken, wer auf sie aufpassen sollte, wenn er die Angelegenheit mit dem Verräter gelöst hatte und wieder zur Gruppe zurückkehrte. Es brachte nichts, über etwas nachzudenken, für das es keine Lösung gab. Er gehörte nicht in ihre Welt und sie nicht in seine. Das war ihm von Anfang an bewusst gewesen. Er hätte sich von ihr fernhalten sollen und sie nie berühren dürfen.
»Worauf wartest du?«
Seine Muskeln zogen sich zusammen, als Caitlins Hand über seinen Rücken strich. »Ich überzeuge mich nur davon, dass uns niemand auflauert.« Er stieß einen lautlosen Fluch aus, als er fühlte, wie sie zusammenzuckte. »Es ist alles in Ordnung, gehen wir.«
Er nahm ihre Hand in seine und führte sie den Gang entlang. In der Hotellobby und auf dem Parkplatz beobachtete er die Umgebung unauffälliger, um Caitlin nicht wieder zu erschrecken. Seine Anspannung wuchs, als sie beim Krankenhaus ankamen. Hier konnten sie nicht nur auf Caitlins Verfolger treffen, sondern auch auf jemanden, der es auf Marisa abgesehen hatte. Seinen Arm um Caitlin gelegt, führte er sie zum Eingang des Krankenhausgebäudes. Obwohl er auch hier niemanden wahrnahm, blieb er trotzdem wachsam. Zuerst gingen sie zu Marisas Zimmer, damit er Keira Bescheid sagen konnte, dass Harken ihn ablösen würde. Danach kehrten sie nach draußen zurück.
Mit der Hauswand im Rücken und halb von Büschen verdeckt blieb Torik schließlich stehen und wartete auf Harken. Es dauerte nicht lange, bis er die Anwesenheit des anderen Wandlers spürte.
Torik legte eine Hand auf Caitlins Arm. »Nicht erschrecken.«
Verwirrt sah sie ihn an. »Warum? Was … ?« Sie schrie leise auf, als Harken plötzlich vor ihnen erschien. Ihre Augen weiteten sich, als sie sah, dass er nackt war.
Harken störte sich nicht daran, sondern konzentrierte sich auf Torik. »Irgendwann musst du
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