Ghostwalker - Raven, M: Ghostwalker
hielt sich nicht lange damit auf, sich im Raum umzusehen, das würde nur seinen Erinnerungen mehr Macht geben. Stattdessen konzentrierte er sich völlig auf die Käfige mit den Wandlern. Sein Magen zog sich zusammen, als er den schrecklichen Zustand der Raubkatzen sah. Sie waren abgemagert, das Fell stumpf. Sie saßen und lagen einfach so da und starrten ihn an. Wahrscheinlich konnten sie sich gar nicht vorstellen, dass jemand sie befreien würde.
Ein Geräusch hinter ihm ließ ihn herumfahren. Isabel war in den Raum getreten, ihr Gesicht blass. Es war offensichtlich, dass sie große Schmerzen hatte. Bowen straffte die Schultern. Wie hatte er nur vergessen können, was es in Isabel auslöste, wenn sie sich in der Nähe von leidenden Katzenwandlern befand? Doch das war im Moment nur zu ändern, wenn er die armen Kreaturen so schnell wie möglich befreite. Er wandte sich wieder zu ihnen um.
»Ich bin Bowen. Ich werde euch jetzt frei lassen und aus dem Gebäude bringen.« Jedenfalls hoffte er das. Er mochte gar nicht darüber nachdenken, was alles schiefgehen konnte, aber er musste es zumindest versuchen.
Langsam ging er zu den Käfigen hinüber. Die Katzenwandler verfolgten seine Annäherung mit Skepsis. »Könnt ihr mich verstehen?« Wieder sahen sie ihn nur an. »Ich bin Wandler so wie ihr. Ich kann euch nur helfen, wenn ihr mir vertraut.« Einer der Berglöwen blickte an ihm vorbei und stieß ein dumpfes Grollen aus. Bowen wusste genau, was ihm missfiel. »Isabel ist eine Freundin. Lee hat sie genauso entführt und eingesperrt wie euch.«
Bowen trat vor den ersten Käfig und besah sich die Verriegelung. Sie war mit einem Vorhängeschloss gesichert. Verdammt! »Wisst ihr, wo der Schlüssel ist?«
Mit einer Kopfbewegung deutete der Berglöwe zur Wand, an der ein kleiner Metallkasten hing. Isabel öffnete ihn und holte einen Schlüssel heraus. Bowen nahm ihn mit einem Nicken entgegen, während sie sich wieder zurückzog. Wahrscheinlich war es eine weitere Folter gewesen, den Schlüssel, der ihre Freiheit bedeutete, in Sichtweite aufzubewahren. Schnell schloss Bowen auf und warf das Vorhängeschloss weg. Nach einem letzten warnenden Blick schob er die Käfigtür auf und trat zur Seite. Einen Moment lang schien der Berglöwe wie erstarrt, doch dann sprang er mit einem großen Satz heraus, der ihn beinahe bis vor Isabels Füße beförderte.
27
Wie erstarrt stand Isabel da, nur ihr Herz hämmerte, als wollte es jeden Moment aus ihrer Brust hüpfen. Bisher hatte sie nur mit Wandlern zu tun gehabt, die ihr wohlgesonnen waren, aber dieser Berglöwenmann kannte sie überhaupt nicht. Was hielt ihn davon ab, sie nur deshalb zu verletzen oder zu töten, weil er es konnte? Schließlich war sie ein Mensch und ihm war von ihresgleichen Furchtbares angetan worden. Bevor sie irgendetwas tun konnte, hatte er einen weiteren Schritt auf sie zugemacht, ein tiefes Grollen drang aus seiner Kehle. Ihr Blick flog zu Bowen, der bereits auf sie zustürmte, seine Augen pure Katze. Doch er war zu weit weg, um ihr helfen zu können. Gerade als sie sich darauf vorbereitete, von dem Berglöwen angegriffen zu werden, sackte er in sich zusammen. Schwer atmend lag er auf dem Fliesenboden, seine Rippen standen scharf hervor.
Isabels Angst wandelte sich zu Mitleid. Zögernd streckte sie die Hand aus und legte sie auf den Kopf des Berglöwen. Seine Augen funkelten sie wütend an, aber er bewegte keinen Muskel. Die Wucht seiner Gefühle verursachte einen stechenden Schmerz in ihrem Kopf. Sie bemühte sich, einen Schutz dagegen aufzubauen, aber es half nur bedingt. Dafür war er zu nah und sein Schmerz und seine Verzweiflung zu groß.
Bowen ging neben ihr in die Hocke. »Geht es dir gut?«
»Alles in Ordnung. Befrei die anderen, wir müssen hier weg.« Wie das allerdings klappen sollte, wenn die Wandler nicht einmal laufen konnten, wusste sie nicht. Als Bowen zögerte, drückte sie seine Hand. »Wirklich, es geht mir gut.«
Nach einem letzten besorgten Blick ließ Bowen sie los und ging zu den Käfigen zurück. Isabel wandte sich wieder dem Berglöwen zu. »Wir werden gleich hier verschwinden. Unsere Freunde treffen bald ein und helfen uns.« Mit der Hand fuhr sie durch sein stumpfes und verklebtes Fell. »Du wirst bald frei sein.«
Ein Schauer lief durch seinen Körper. Ob es an ihren Worten oder an ihrer Berührung lag, konnte sie nicht sagen. Um ihn nicht weiter zu belasten, zog sie ihre Hand zurück. Unerwartet folgte er ihrer Bewegung und
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