Ghostwalker - Raven, M: Ghostwalker
hielt sich hartnäckig in seinem Kopf und er glaubte beinahe, ihre sanfte Stimme zu hören und ihren unverwechselbaren Duft zu riechen. Sie hatte sich in Nevada mit Marisa, Coyle und Keira getroffen, um die Beweise aus dem Haus ihres Vaters zu bergen. Das war ihnen auch gelungen, aber auf dem Rückweg zum Lager war der Wagen von Marisa und Coyle von der Fahrbahn abgedrängt und die Menschenfrau dabei schwer verletzt worden. Glücklicherweise waren Isabel und Keira zu dem Zeitpunkt bereits mit einem anderen Wagen auf dem Weg in ein Motel gewesen. Was hätte Bowen getan, wenn es stattdessen Isabel gewesen wäre, die in dem verunglückten Auto saß? Sein Magen krampfte sich zusammen.
Er hätte mit nach Nevada fahren sollen. Auch wenn Bowen wusste, dass eigentlich die Menschen daran schuld waren, fühlte er sich doch verantwortlich. Wäre er damals nicht so unvorsichtig gewesen, hätte Stammheimer ihn nie in die Finger bekommen. Coyle hatte ihn gefragt, ob er mitkommen wollte, aber er hatte sich nicht dazu bringen können, noch einmal das Haus zu betreten, in dem er gefoltert worden war. Jedenfalls redete er sich damit heraus, doch eigentlich traute er sich nur nicht, Isabel wiederzusehen. Würde sie überhaupt noch mit ihm reden, nachdem er sich die ganze Zeit über nicht bei ihr gemeldet hatte? Oder was, wenn sie ihn hasste, weil seinetwegen ihr Vater getötet worden war? Noch schlimmer wäre es allerdings, wenn ihre geistige Verbindung, durch die sie seine Gefühle hatte wahrnehmen können, immer noch bestand und Isabel ihm so nah war wie damals. Wie sollte er damit leben, sie wieder gehen zu lassen? Beim ersten Mal war es beinahe schlimmer gewesen, als die Folterungen zu ertragen. Noch einmal würde er das nicht überstehen.
Er war zu feige gewesen, ihr gegenüberzutreten, so einfach war das. Isabel war eine Menschenfrau, sie würde nie im Lager mit ihm leben wollen, und er konnte nicht in die Stadt ziehen. Sein Herz schmerzte, wie immer, wenn er darüber nachdachte, wie unmöglich eine Beziehung zwischen ihnen war. Deshalb hatte er sich dem Drang widersetzt, sie zu sehen und mit ihr zu reden. Sie vielleicht sogar zu berühren, wie damals, als er sich von ihr verabschiedet hatte. Noch jetzt konnte er ihre weichen Lippen auf seinen fühlen, das Zittern ihres Körpers.
Von seiner eigenen Unsicherheit angewidert, lief Bowen noch schneller. Isabel war seinetwegen überhaupt erst in diese Lage gekommen und er schaffte es nicht einmal, für sie da zu sein. Dabei war sie so mutig gewesen, in das Haus ihres Vaters zurückzukehren, um die Beweise in Sicherheit zu bringen, die Stammheimer durch seine Schuld sammeln konnte. Wie lange würden ihn die Erinnerungen daran noch quälen? Isabel war ihm damals unter die Haut gegangen, und er schaffte es nicht, sie zu vergessen. Aber das musste er, wenn er irgendwann wieder sein Leben aufnehmen wollte. Bisher hatte es niemand gewagt, ihn direkt darauf anzusprechen, oder ihn aufgefordert, endlich etwas für die Gruppe zu tun. Doch die Blicke waren eindeutig. Er sollte wirklich endlich seine Ausbildung zum Wächter fortsetzen und für den Schutz des Lagers sorgen. Dann würde er sich wenigstens nicht so nutzlos vorkommen.
Entschlossen verlangsamte er seine Schritte und holte tief Luft. Es war genug Zeit vergangen. Er musste etwas tun, sonst würde er verrückt werden. Und wenn ihn bestimmte Geräusche oder Gerüche in den dunklen Keller zurückkatapultierten, musste er lernen, damit umzugehen. Auch andere Mitglieder der Gruppe hatten Schlimmes erlebt und schafften es trotzdem, ihr Leben normal zu führen.
Schließlich setzte er sich an dem kleinen See in der Nähe des Lagers ans Ufer, wie immer, wenn er Zeit für sich brauchte. Er wusste, dass ihn niemand hier stören würde. Kurzentschlossen sprang Bowen auf und stürzte sich in das Wasser. Bevor er auf die Oberfläche traf, verwandelte er sich. Als Berglöwe konnte er zwar schwimmen, aber er vermied es, wenn es ging. In Menschenform jedoch genoss er das durch die Sommertage erwärmte Wasser und schwamm in kräftigen Zügen, bis er so erschöpft war, dass er auf Händen und Knien herauskroch und am Ufer zusammenbrach. Nach Atem ringend lag er auf den kalten Steinen und starrte zum samtschwarzen Himmel hinauf, an dem unzählige Sterne funkelten. Ob Isabel sie auch sehen konnte, wo immer sie auch gerade war?
1
Müde stieg Isabel vor dem Motel, in dem sie bereits die letzte Nacht verbracht hatten, aus ihrem Auto und blickte Keira
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