Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter
Teppich.
Ich war erstaunt. Ein ähnliches Gefühl hatte ich gehabt, als ich durch die Nebelwolken auf den Filmset von War Horse (in Deutschland Gefährten ) in Castle Combe gekommen war. Der Schritt ins Weiße setzte erneut einen Zeitsprung in Gang, nur dass ich jetzt eher beunruhigt als freudig erregt war. Ich betrat keine Neuerschaffung einer Vergangenheit, die ich nie gekannt hatte, sondern ich kehrte in meine eigene Vergangenheit zurück, meine Vergangenheit mit Kate.
Ich schaute auf meine Füße, als ich einen Schritt vorwärts machte. Das Knirschen meines Schuhs im Schnee jagte eine Schockwelle durch meinen Körper. Ich war wieder in Lappland. Das Geräusch erinnerte mich daran, wie ich Hand in Hand mit Kate durch den Schnee gegangen war. Alles erinnerte mich an Lappland, an Kate, an unseren letzten gemeinsamen Urlaub. Ich sah sie umgeben von Weiß, genauso wie es jetzt war. Damals hatte ich die gleiche Kälte gespürt, die einen bis auf die Knochen durchdrang. Ich hatte ganz vergessen, wie kalt es im Schnee ist und dass er unter den Füßen knirscht wie feiner Kies. Normalerweise liebe ich dieses Geräusch. Ich habe es in Lappland geliebt, weil es von Gelächter begleitet war. Ich habe es auch in Österreich geliebt, dem ersten Urlaub, den Kate und ich gemeinsam unternommen hatten.
»Ich kann es nicht glauben, dass wir hier sind!«, hatte die Teenager-Kate gekreischt, als sie wie ein aufgeregtes Kätzchen durch den Schnee hüpfte. »Ich liebe Ski fahren!«, verkündete sie. »Und ich liebe dich, Singe, von ganzem Herzen!«
Ich sah sie vor mir, wie sie bei diesen Worten mit hüpfendem Pferdeschwanz um mich herumtanzte. Der Schnee war romantisch. Er brachte Kates ohnehin schon rosige Wangen noch mehr zum Erblühen. Es war ihr erster Flug mit mir gewesen, der erste von vielen weiteren, und sie war das umwerfendste Mädchen der Welt.
Als ich ihr dann Jahre später in Wengen in der Schweiz einen Heiratsantrag machte, sorgte der Schnee für den zauberhaften Rahmen. Ich hatte den Lohn eines halben Jahres für einen fantastischen Verlobungsring mit Aquamarin ausgegeben, weil dieser sowohl Kates März-Geburtsstein als auch meiner war und so gut zu ihren blauen Augen passte. Kates Augen veränderten die Farbe von einem sehr hellen Blau zu einem noch blasseren, eisigeren Blau, wenn sie wütend oder emotional aufgewühlt war, und ich fand es wunderbar, dass auch der Stein die Farbe je nach Lichtverhältnissen wechselte. Der Ring war perfekt, und sobald wir einen Fuß in das Skigebiet gesetzt hatten, konnte ich es kaum erwarten, ihn an Kates Finger zu stecken. Doch sosehr es mir auch auf den Nägeln brannte, galt es doch, den geeigneten Zeitpunkt abzuwarten.
Ich hatte den Ring selbst entworfen und einen befreundeten Juwelier gebeten, sich nach dem passenden Stein umzusehen. Und glücklicherweise bekam er einen wunderschönen Stein in Tränenform aus der Schweiz. Ich beauftragte ihn, diesen in einem hübschen Weißgoldreif in Wishbone-Form, flankiert von kleinen Diamanten zu fassen. Dann sprach ich mit Kates Chef und vereinbarte mit ihm, dass sie ohne ihr Wissen freibekam. Als sie am Freitagabend nach Hause kam und ihre Skistiefel und Skier im Flur sah, brach sie in Freudentränen aus.
»Singe! Ich kann’s kaum glauben, dass wir Ski fahren gehen«, sagte sie und drückte mich. »Das ist ja wunderbar! Ich dachte, mein Chef wolle mich loswerden, indem er meine Stunden reduziert! Das ist einfach fantastisch!«
Ich musste mir auf die Zunge beißen, denn am liebsten hätte ich ihr verraten, dass sie nicht nur Urlaub machen würde, sondern auch noch einen Heiratsantrag zu erwarten hatte, aber dafür musste ich den magischen Moment abwarten. Ich hatte mich für Wengen entschieden, wegen seiner Postkartenidylle und der beeindruckenden Kulisse der Eigernordwand. Schließlich wollte ich an einem der schönsten Orte des Planeten um ihre Hand anhalten.
Kate war verzaubert. Für die Fahrt vom Flughafen zum Bahnhof Wengen hatte ich Zugfahrkarten der Ersten Klasse gebucht.
»In Wengen gibt es keine Autos«, hatte ich Kate erklärt. »Es ist dort viel zu hübsch für Autos.«
»Ich liebe dich, Singe!«, betonte sie immer wieder.
Sie umarmte und küsste mich während der ganzen Fahrt dorthin.
»Ich bin dir so dankbar, Singe. Ich kann es gar nicht fassen, dass das kein Traum ist, aus dem ich aufwachen werde. Es ist wie im Märchen.«
Am liebsten hätte ich mich gleich im Zugabteil vor ihr auf die Knie geworfen und ihr einen
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