Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter
zu entkommen. Nachdem ich mich auf den Fahrersitz geworfen hatte, schlug ich rasch die Tür hinter mir zu. Sie fiel mit einem gruseligen Nachhall ins Schloss, dabei rutschte ein Schneebrett schwer auf der Fahrerseite über die Scheibe und landete mit einem dumpfen Aufprall auf dem Boden. Schluckend saß ich in der abgestandenen Luft des Wagens und weinte hemmungslos.
Ein tiefes Gefühl von Verlust erfasste mich, aber erst nach einiger Zeit wurde mir klar, dass die Trauer nicht meinem eigenen Verlust galt, sondern dem von Kate.
»Sie hat ihn nicht mitbekommen«, überlegte ich. »Kate wird nie wieder Schnee sehen, niemals. Sie wird nichts mehr sehen, nie mehr.«
Es tat mir so leid für sie, dass sie so viel verpasste. Ich startete den Motor, aber der Lärm gab mir nur Deckung, heftiger und lauter zu weinen, ohne mich von dem stillen Weiß um mich herum einschüchtern zu lassen. Jetzt weinte ich mir die Augen aus, ich hatte keinerlei Kontrolle mehr über meine Tränen. Es gefiel mir gar nicht, so machtlos zu sein, meinen Emotionen ausgeliefert, daher versuchte ich, dafür mit mir ins Gericht zu gehen.
»Wein dich ruhig aus, du dummer Idiot«, sagte ich mir. »Aber dann reiß dich zusammen und fahr um Himmels willen los.«
Mein Körper wollte nicht auf meinen Geist hören. Ich fühlte mich körperlich angegriffen, als hätte man mich geschlagen. Mein Magen hatte sich so sehr verkrampft, dass es tief in mir zwickte und rumorte und mir unangenehm die Luft in der Kehle und meinen Eingeweiden abschnürte. Der Schmerz war so heftig, dass ich mich nur mit Mühe davon überzeugen konnte, nicht tatsächlich verletzt zu sein.
Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis der Schmerz nachließ. Als meine Augen endlich wieder trocken waren, ließ ich sie über den Parkplatz wandern und entdeckte Fußspuren im Schnee. Es gab jede Menge davon, und sie liefen in alle Richtungen. Das perfekte Weiß gab es immer nur einen Moment lang, jetzt waren die Straßengeräusche aufgetaut und tröpfelten zurück in die Atmosphäre. Das Leben geht weiter, sagte ich mir, für alle außer Kate.
Ich fuhr zum Supermarkt und überlegte, was ich zum Abendessen machen sollte. Die einzige Mahlzeit, die mir einfiel, war unser Lieblingssteak in Pfeffersoße. Auch die Jungs aßen es mit Begeisterung, ich hatte ihnen sogar schon gezeigt, wie man es zubereitete. Kate hatte sich gewünscht, dass ich es für die Jungs machte, weil sie selbst es so liebte, und sie hatte es sogar auf ihre Liste gesetzt: »Singes Pfeffersoße.« Als sie es damals aufschrieb, musste ich lächeln und meinte, mein Großvater würde sich freuen, dass sein altes Familienrezept derart großen Zuspruch fand. »Das hat es auch verdient«, erwiderte sie. »Es ist köstlich.« Ich fand es schrecklich, dass sie es nie mehr essen würde, gelobte mir aber, dass die Jungs es bekommen sollten.
Ein wenig benommen schob ich den Einkaufswagen durch die Gänge, packte ein Filetsteak, Pfefferkörner und Meersalz, Crème double und braunen Zucker hinein. Ich kannte das Rezept auswendig, und es heute Abend zu kochen schien mir eine gute Idee zu sein. Mir ist bewusst, dass ich esse, wenn ich depressiv bin, und mich damit wohl aufmuntern wollte. Wenn Kate Aufmunterung brauchte, kaufte ich ihr oft die köstlichen Schoko-Karamell-Eclairs von Tesco. Es überraschte mich, dass diese nicht auf ihrer Liste der Dinge standen, die sie außer Orangenbiskuits und Zitronenaufstrich oder Walnut Whips und Erdbeerkäsekuchen »gemocht« hatte. Doch schließlich gab es so viele Dinge, die sie gerne aß, dass auf keiner Liste alle Platz gehabt hätten.
Ich konnte den Jungs aus dem Stegreif sagen, was Mummy sonst noch gern mochte, weil ich Kates Lieblingsdinge so gut kannte. Deshalb brauchte ich auch nicht für alles eine Liste. Um mir das zu beweisen, machte ich im Geiste eine Einkaufsliste von den Dingen, die Kate liebte. Crème brulée, Erdbeeren, Chicken korma, chinesische Pfannkuchen mit Ente, knuspriges geschnetzeltes Rindfleisch (ohne Chili), Chicken tikka, Pizza mit Schinken und Ananas, türkischen Honig, die Sonntagsbraten meines Vaters, Spaghetti bolognese, Cadbury’s Flake (direkt aus dem Kühlschrank), Waldorfsalat, frische Profiteroles und Double-Decker-Schokoriegel. Kate aß die Double Deckers auf witzige Art, indem sie sich die Nugatschicht bis zum Schluss aufhob. Ich sah sie vor mir, wie sie einen aß und wie ein Eichhörnchen am Nugat knabberte. Das Bild war so deutlich, als würde ein Video in
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