Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter
negative Art zu denken, die zu nichts führte. Weitaus besser war es, das Beste zu hoffen und abzuwarten, was kam.
Ich konnte mir nur dessen sicher sein, was bereits passiert war, nicht dessen, was passieren könnte. Seit Kates Tod waren fast zwölf Monate vergangen, und so viel war geschehen. Das Leben war weitergegangen, dieser Gedanke schockierte und tröstete mich zugleich. Es war gut, dass das Leben weiterging, obwohl ich mir anfangs nicht vorstellen konnte, wie. Wie und wann es dann doch weitergegangen war, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, denn es war ein schleichender Prozess, ein Aufweichen des rohen, schreienden Schmerzes in empfindliche schmerzhafte Trauer.
Der erste Jahrestag von Kates Tod war schon in wenigen Wochen, und ich überlegte, wie viele gute Dinge in diesem Jahr ohne sie passiert waren, die meinen Verlust erträglicher gemacht hatten. Ich wanderte in Gedanken durch die Monate und Jahreszeiten.
Die Eiseskälte des Winters, die schwer auf Kates Trauerfeier gelegen hatte, war etwas aufgetaut, als wir das Boot gekauft hatten und zu neuen Abenteuern aufgebrochen waren. Ich hatte nicht erwartet, dass von da an alles glatt laufen würde, jedoch auf ein wenig Freude gehofft. Und davon hatten wir jede Menge, wie ich fand.
Unter den warmen Sonnenstrahlen auf meiner Stirn nahmen die glücklichen Momente Gestalt an. Ich sah Reef und Finn beim Picknick in Priddy, wo sie Jagd auf Käfer und Schmetterlinge machten. Und gleich darauf sah ich ihre strahlenden Gesichter, als sie das Steuer der 4 Saints übernahmen und mit windzerzausten Haaren »Schneller, schneller!« jubelten. Ebenso lebendig war die Erinnerung an uns drei, wie wir als Piraten verkleidet an Reefs Geburtstag für ein Foto posierten und uns dabei wie die Schneekönige freuten.
Dann allerdings musste ich traurig daran denken, dass sich selbst an strahlenden Sonnentagen der Himmel manchmal wie auf Knopfdruck verdunkelte, wenn Kummerwolken sich zusammenbrauten und alles überschatteten. Ich habe mich nie einer Trauertherapie unterzogen, aber ich wusste, dass das normal war und niemand ordentlich geregelte Trauerstadien durchmacht. Man weiß nie, wann die Trauer einen überkommt, wann sie die Erinnerung beherrscht oder Tränen auslöst.
Voller Bedauern musste ich an mein Verhalten während des österlichen Wohnwagenurlaubs denken, als ich einfach völlig von der Rolle gewesen war. Da hätte ich mich sicherlich mehr anstrengen können. Auch bei der Erinnerung an die gerammte und in tausend Stücke geschlagene 4 Saints zuckte ich zusammen, denn ich musste den Jungs beibringen, dass sie für sehr lange Zeit nicht einsatzbereit wäre, viel zu lange, um sie mit Nächten zu berechnen, die noch geschlafen werden mussten.
Ohne Vorwarnung klumpte sich mein Magen kalt zusammen, als ich an die Knoten in Reefs Bauch denken musste. Zweifellos war deren Entdeckung seit Kates Tod der Tiefpunkt des ganzen Jahres gewesen und die Entwarnung, dass sie harmlos waren, der allerschönste Glücksmoment. Dieser Gedanke verdrängte alles andere aus meinem Kopf und machte mir eines klar und deutlich.
Zwei fröhliche, gesunde Kinder zu haben war immer Kates Traum gewesen, und genau das hatte ich jetzt. Als sie ihre Liste schrieb, war das ihre Motivation gewesen. Die kleinen Schnipsel über sie selbst, die Hinweise für mich und die Wünsche bezüglich der Jungs sagten eigentlich alle nur eins aus: »Seid glücklich, schätzt das Leben und habt viel Spaß. Und seid dabei freundlich und achtsam.« Zwischen den Zeilen sagte Kate außerdem: »Vergesst mich nicht, aber macht bitte weiter und holt aus jedem Tag das Beste heraus.« Dies hatte sie auf vielfältige Weise gesagt während der vielen Stunden, die wir miteinander geredet und geweint und uns umarmt hatten und in denen sie die Liste vervollständigte.
Würde Kate das gutheißen, was ich bis jetzt erreicht hatte? Fände sie, dass ich es gut machte? Ich wünschte, ich könnte sie herbeizaubern, wenn auch nur für eine Minute, um sie zu fragen, was sie dachte, und um noch ein wenig mehr von ihren kostbaren Ratschlägen und ihrem Feedback zu bekommen. Sie war ein Organisationstalent und bräuchte nicht lang zu überlegen, um mir reinen Wein einzuschenken.
Niemand ist perfekt, und mir war klar, dass manches, worum sie mich gebeten hatte, noch nicht erledigt war und ich einiges, das ich bereits abgehakt hatte, noch besser machen konnte. Jemand für meinen weiteren Lebensweg zu finden war dabei die größte
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