Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter
mir die Worte des Arztes an diesem Tag in Erinnerung rufe. Ich hielt damals Reefs Hand, während er das übliche Sperrfeuer von Scans und Bluttests über sich ergehen ließ. Nach den guten Nachrichten vom letzten Jahr und der Versicherung, dass die Knoten in seinem Unterleib harmlos sind, war ich ziemlich optimistisch. Reef war inzwischen bei den Pfadfindern und hatte Spaß an allen Aktivitäten, die er mit ihnen unternahm. Darüber hinaus machte er sich auch ganz gut beim Rugby, was er an den Wochenenden spielte. Er hatte sich zu einem erstaunlichen kleinen Spieler entwickelt, obwohl es ihm mit seinem schwachen Bein nicht leichtfiel, die Balance zu halten.
Beim allerersten Spiel schaffte er es, nicht markiert zu werden, und legte einen Sprint über zehn Meter durch die gegnerische Mannschaft hin. Er ist auch recht geschickt im Zuspiel, und ich habe bewundernd verfolgt, wie er einen Ball gekonnt durch die Luft schraubte. Als ich an diesem Tag an der Seitenlinie stand, fühlte ich mich an jenen unglaublichen Moment zurückversetzt, als Reef, drei Tage nachdem die Ärzte uns gesagt hatten, er könne womöglich nie wieder laufen, einen Kinderwagen durch das Spielzimmer des Krankenhauses schob. Kate und ich hatten einander völlig verdutzt angesehen. »Oooh, das solltest du eigentlich gar nicht können!«, hatte Kate zum achtzehn Monate alten Reef gesagt, bevor sich ihre Begeisterung in einem unglaublichen Gekicher entlud. Wir trauten unseren Augen nicht, und auch die Ärzte mussten sich erst mit eigenen Augen davon überzeugen, ehe sie es glauben konnten. Wir wussten, dass der Tumor Reefs Oberschenkelnerv angegriffen hatte, und waren gewarnt worden, dass er durch Chemo und Bestrahlung noch weiter geschädigt werden könnte, dennoch hatten wir uns noch nicht ansatzweise mit der schrecklichen Prognose abgefunden, dass er womöglich nie wieder laufen konnte. Als wir ihn an diesem Tag den Kinderwagen schieben sahen, war offensichtlich, dass trotz des aggressiven Tumors die Signale des Gehirns es doch irgendwie schafften, an sein Bein weitergeleitet zu werden. Es war ein Wunder. Selbst heute noch begreifen die Ärzte nicht ganz, wie er das zuwege gebracht hatte.
Und jetzt erfüllte mich jedes Mal unglaublicher Stolz, wenn ich Reef beim Rugbyspielen zusah, denn für ihn ist es schon eine unglaubliche Leistung, überhaupt auf dem Feld zu sein. Auch Finn geht beim Rugbytraining ab wie die Post, es ist eine wahre Freude, sie beide spielen zu sehen. Ich werde dabei an die Zeit erinnert, als ich selbst noch als Gedrängehalbspieler für ein Bristol-Team antrat. Kate war mein größter Fan und kam zum Zuschauen, selbst wenn es bitterkalt war.
Einmal spielten wir gegen ein Team von der Bath University, und die Fans der gegnerischen Mannschaft warfen mir alle möglichen Beschimpfungen an den Kopf, ohne zu ahnen, dass meine Freundin unter ihnen an der Seitenlinie stand. Die kleine Kate, eingemummelt wie ein Eskimo in Mütze und Schal gegen Schneeregen und heulenden Wind, hörte sich eine Weile schweigend an, wie sie mich »rothaarigen Schwachkopf« nannten und ihre Spieler anstachelten, mich aus dem Spiel zu drängen. Sie wartete den perfekten Augenblick ab und bekundete, nachdem ich einen Versuch erzielt hatte, ihre Loyalität, indem sie laut und enthusiastisch brüllte: »Gut gemacht, Singe!«
»Zu wem gehörst du denn?«, wollte einer der gegnerischen Fans wissen.
»Zu dem rothaarigen Schwachkopf«, erwiderte sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht und weidete sich daran, wie das Gesicht des Fragenden noch röter wurde als meine Haare, bevor er sich überschwänglich für seine Kommentare entschuldigte.
Bei dieser Erinnerung lächelte ich in mich hinein, dann wandte ich mich wieder meinem Tagebuch zu und las, was ich am 20. Januar 2011 unter »Reef, Krankenhaustermin« vermerkt hatte.
»Fantastische, unglaubliche, tolle Neuigkeiten. Die Ärzte sind begeistert von Reef. Alle Tests gut. Meinten, die Gefahr, an Krebs zu erkranken, sei bei ihm jetzt nicht größer als bei allen anderen!«
Ich traute meinen Ohren kaum, als Professor Stevens mir das mitteilte. Das waren nach vielen Jahren die besten Neuigkeiten, und ich hätte sie gern mit Kate geteilt. Auf diese Nachricht hatte sie immer gewartet, obwohl man uns gesagt hatte, wir dürften nicht mit ihr rechnen. Es war ein übergroßes Wunder.
Nach dem Krankenhaustermin nahm ich beide Jungs mit an Kates Grab und erklärte ihnen, dass nun auf den Tag genau ein Jahr seit Mummys
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