Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter
mehr Zeit mit den Jungs erkaufen, was, wie Kate nur allzu gut wusste, ohnehin unbezahlbar war.
Auf dem Heimweg schossen mir meine Gedanken kreuz und quer durch den Kopf, verweilten bei Kates Liste und machten dann wieder einen Satz in die Zukunft, in der ich viele Punkte von der Liste abzuhaken hoffte. Wir könnten das Haus erweitern, damit ein Esstisch hineinpasste, und ein Spielzimmer mit dem Geheimdurchgang bauen, den die Jungs sich wünschten. Ich könnte mich darum kümmern, Reef und Finn taufen zu lassen, ihnen richtig gute Schachteln für ihre Andenken gestalten und sogar mit den Planungen für einige der größeren Reisen beginnen. Als Erstes vielleicht Schnorcheln im Roten Meer? Kate und ich hatte diese Reise während ihrer Krankheit dreimal gebucht und jedes Mal wieder abgesagt, immer in der Hoffnung, sie werde gesund genug zum Reisen sein, eine Hoffnung, die aber jedes Mal enttäuscht wurde.
»Deine Tochter war erstaunlich«, sagte ich zu Martin, als ich all die guten Neuigkeiten verdaut hatte.
Er war überaus erleichtert über unsere finanzielle Situation, denn er hatte sich immer daran gestört, dass wir unser Geld für extravagante Reisen und Abenteuer verpulverten und nichts für »schlechte Zeiten« zurücklegten. Als nun die schlechten Zeiten auf spektakuläre Weise über unser Leben hereinbrachen, war Kate schließlich doch gut vorbereitet – und sie hatte außerdem jede Menge Spaß in den guten Zeiten gehabt.
Völlig überraschend legte Martin seinen Arm um meine Schulter und drückte mich.
»Ich danke dir, dass du ihr so ein gutes Leben ermöglicht hast«, sagte er. Nach einer kleinen Pause räusperte er sich und ergänzte: »Du hast ihr die Welt gezeigt, und Gott sei Dank hast du das getan.«
Ich spürte, dass ich rot wurde und meine Augen brannten. War es doch ungeheuer großmütig von ihm, mir das zu sagen. Ich hatte ihm seine Tochter entrissen, ehe er bereit gewesen war, sie in die große weite Welt zu entlassen. Ich hatte ihm in Kates Jugend schlaflose Nächte und großen Kummer bereitet. Noch in den letzten Jahren hatten Martin und ich Differenzen gehabt, weil unser Blick auf die Welt so verschieden war, obwohl er und Christine die engagiertesten und aufopferndsten Eltern, Schwiegereltern und Großeltern waren, die man sich nur wünschen konnte.
»Danke«, sagte ich. »Das bedeutet mir viel. Alles andere als eine Kleinigkeit, mir das zu sagen. Ich danke dir.«
Ich musste über das Wort »Kummer« nachdenken. Der sogenannte Kummer, den ich Kates Eltern damals bereitet hatte, schien so trivial verglichen mit dem wirklichen Kummer, den wir jetzt alle erlitten. Heftige Teenagerleidenschaft auf der einen und tiefe elterliche Angst auf der anderen Seite sind im Vergleich dazu kleine Fische, sagte ich mir. Der Tod erschüttert den Boden unter deinen Füßen und lässt dich die Welt aus anderen Blickwinkeln sehen. Ich fing gerade erst an zu trauern.
Ich war sehr stolz darauf, dass Kate und ich das Leben immer in vollen Zügen genossen hatten und dass sie sich von Herzen wünschte, wir würden so weiterleben und unsere Söhne ermutigen, es genauso zu machen. Dazu den Segen ihres Vaters zu bekommen rührte mich zutiefst. Es war, als wäre vor meinen Augen ein grünes Licht angegangen, das mir erlaubte, richtig loszulegen und mich durch Kates Liste zu arbeiten.
Voller Vorfreude rief ich noch am selben Abend einen befreundeten Baumeister an.
»Ich habe eine ganz genaue Vorstellung davon, wie es werden soll«, erklärte ich ihm. »Komm vorbei und sag mir, was du davon hältst.«
Kate und ich hatten oft darüber diskutiert, einen Anbau an das Haus zu machen. Es war auf unserer gemeinsamen To-do-Liste, aber wir hatten keine Ahnung, wann wir es uns jemals leisten könnten. Als wir damals das Haus kauften, war Reef unterwegs. Ich hatte gerade erst meine Firma aufgebaut und war noch dabei, Erlebnis- und Trainingskurse wie Motorboot fahren und Schnorcheln zu entwickeln, die ich nun für diverse Firmen, Schulen und Colleges anbot und durchführte. Da Kate Mutterschaftsurlaub von ihrem Bürojob als Versicherungsagentin nahm, war das Geld ein wenig knapp.
Der vorherige Besitzer des Hauses hatte etwa ein Dutzend Hunde gehabt, weswegen wir, um es bewohnbar zu machen, viele unserer Vorhaben streichen mussten. Ich glaube, die Leute hielten uns für verrückt, weil wir uns ein Anwesen anschafften, in das man so viel Arbeit stecken musste, aber wir hatten beide eine Vision, die über die angenagten
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