Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter
Nachbarn und viele Gesichter, die ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte.
Der Parkplatz war binnen Minuten belegt, und die Autos blockierten sogar die Straßen davor. Jemand erzählte mir, dass die öffentlichen Busse umgeleitet werden mussten, was Kate sicherlich gefallen hätte. Es war, als wäre jeder, mit dem Kate jemals in Kontakt gestanden hatte, gekommen, um sich von ihr zu verabschieden, und wenn sie nicht persönlich anwesend sein konnten, hatten sie aus der ganzen Welt Trauerbotschaften geschickt. Das überraschte mich nicht im Geringsten. Kate war ein so reizender und allseits beliebter Mensch. Kate nicht zu mögen war unmöglich, man musste sie einfach lieben.
Ich ließ meinen Blick über die voll besetzten Bänke schweifen und fühlte mich äußerst privilegiert, ihr Ehemann zu sein. Die Gefühlswallung machte sich erst mit einem Kloß im Hals bemerkbar, aber als die Musik einsetzte, verlor ich jegliche Kontrolle über mich. Bei »Can’t Help Falling in Love« von Lick the Tins, dem ersten Song, brach ich in Tränen aus. Diesen Song hatten wir auf unserer Hochzeit gespielt, nachdem wir bei einem gemeinsamen Kinobesuch eine Version davon in dem Heath-Ledger-Film 10 Dinge, die ich an dir hasse gehört hatten. Unser Hochzeitstag war wunderbar gewesen. Ich hatte Freudentränen geweint, als Kate den Gang entlanggeschritten kam, eine strahlende Erscheinung in ihrem elfenbeinfarbenen Hochzeitskleid. Jetzt, bei der Zeile »nimm auch mein ganzes Leben« brach ich zusammen. Kate war damals mein ganzes Leben gewesen und war es auch heute noch.
»Pst!«, sagte Reef und warf mir einen unnachgiebigen Blick zu, der mich zurück in die Gegenwart riss. »Jetzt hör um Gottes willen zu weinen auf, Daddy.«
Das stoppte meinen Tränenfluss für eine Weile. Reef hörte sich an wie ein tyrannischer Lehrer, der mich regelrecht abkanzelte. Kate hätte gelacht, wenn sie das mitbekommen hätte. Andere in der Trauergemeinde lachten, als »Does Your Mother Know?« aus den Boxen ertönte. Das Abba-Stück war meine freche Anspielung auf unsere Teenagerromanze, als Kate sich immer davonschlich, um mich zu treffen. Es gehörte zum Soundtrack unseres Lebens und war einer von Kates absoluten Lieblingssongs. Ich sah sie vor mir, wie sie ihn in voller Lautstärke im Auto hörte, obwohl sie längst selbst Mutter war.
Keiner außer mir und den Jungs hatte einen Anhaltspunkt, was die Instrumentalmusik der Blue Man Group bedeutete, aber mich führte sie auf direktem Weg zurück in ihre Bühnenshow, bei der Kate sich vor Lachen gar nicht mehr eingekriegt hatte. Vermutlich war es das letzte Mal gewesen, dass ich sie derart unkontrolliert hatte lachen sehen, und es war einer der unvorhergesehenen Höhepunkte unserer Amerikareise. Das konnte doch unmöglich erst zwei Monate her sein?
Ungläubig betrachtete ich Kates Seegrassarg. Dann weinte ich wieder, genauso wie ich geweint hatte, als ich Kate an unserem Hochzeitstag neben mir am Altar hatte stehen sehen. Sie war so schön gewesen, aber jetzt war das Bild von ihr im Sarg viel lebendiger. Ich wusste genau, wie sie aussah und was neben ihr im Sarg lag, schließlich hatte ich geholfen, ihn zu füllen, bevor der Deckel endgültig zuging.
Kate trug ihren schwarzen Lieblingshosenanzug, den ich für sie aus dem Schrank geholt hatte. Ich ging davon aus, dass sie schick sein wollte. Sie trug baumelnde Ohrringe und das Delphinhalsband, zur Erinnerung an Florida, und ein paar Handschuhe, um die sie gebeten hatte, damit ihre Hände warm blieben. In ihrer Hand lag ein Kristall. Ihr gefiel die Vorstellung, von einem Kristall Trost zu empfangen, wenn schon keine Heilung. Eigentlich glaubte sie nicht an alternative Therapien, aber sie war bereit, alles zu versuchen, was ihr Leben verlängern könnte. Kate hatte gewollt, dass auch etwas von den Jungs Getragenes zu ihr gelegt wurde, deshalb hatte ich ein paar ihrer T-Shirts und Socken zusammengerollt, denen immer noch ihr Geruch anhaftete. Ich hatte sämtliche Kleidungsstücke, darunter einen von Finns winzigen Strampelanzügen, behutsam und liebevoll um sie herum angeordnet, und Christine hatte noch einen von Kates kleinen silbernen Taufarmreifen dazugelegt.
Auch hatte ich dafür gesorgt, dass Kate ein halbes Dutzend Bilder der Jungs mit auf ihre letzte Reise bekam, dazu einige mit »Unendlichkeitselfen« unterschriebene Zettel von ihnen, mehrere Fotos von uns als glücklicher Familie und die Weihnachts- und Geburtstagskarten, um die sie auf
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