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Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter

Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter

Titel: Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: St John Greene
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immer in Erstaunen und Entzücken versetzt hatte, wenn er listig wie ein Fuchs durch die Katzenklappe gekrabbelt war, konnte sich so gut wie nicht mehr rühren.
    Als die Ärzte meinten, seine Krankheit sei vermutlich eine reaktive Arthritis als Folge seiner Masern-Mumps-Röteln-Impfung, beteten wir, dass sie vorüberging und Reef sie überwand, ohne dass eine Behandlung nötig wurde. Es war erschreckend und fast nicht hinzunehmen, dass wir tatenlos zusehen mussten, doch eine andere Erklärung war nicht in Sicht.
    Aber Reef ging es zunehmend schlechter anstatt besser, und wir verbrachten inzwischen mehr Zeit im Krankenhaus als zu Hause, weil er sich zahllosen Tests unterziehen musste, die erklären sollten, warum er immer lethargischer und teilnahmsloser wurde. Für Kate bedeutete dies unvorstellbaren Stress. Schwanger und mit einem kranken Kind im Buggy ging sie unbeirrbar immer wieder ins Krankenhaus, weil sie instinktiv wusste, dass Reef an einer schweren Krankheit litt, und sie betete inständig, die Ärzte würden endlich eine Diagnose stellen und auch eine wirksame Behandlung anbieten.
    Ich erinnere mich noch genau, dass das Leben nur noch aus Herzmonitoren, Röntgenuntersuchungen, Schläuchen und Injektionen bestand, die wir durch einen Tränenschleier wahrnahmen, je intensiver die Untersuchungen wurden. Kate weinte jeden Tag, und ich schlief kaum mehr. Ich übernahm zahllose Nachtwachen im Krankenhaus, wo ich mich mit Red Bull vom Schlafen abhielt, während ich auf Reef aufpasste. Es vergingen Monate und er schien jegliche Energie verloren zu haben. Kurz nach seinem ersten Geburtstag wurde er so schwach, dass er künstlich ernährt werden musste.
    »Ich halte das nicht mehr aus«, schrie Kate immer häufiger.
    »Du machst das wunderbar«, sagte ich. »Sieh dich um. Andere Eltern trennen sich und brechen völlig zusammen. Du bist so stark. Du bist fantastisch. Wir werden das gemeinsam durchstehen.«
    Sie nickte und erwiderte das Kompliment. »Wir sind miteinander verstrickt«, sagte sie in Anspielung auf den Satz, den sie in der Anfangszeit unserer Liebe so oft benutzt hatte. Ich hatte ihn seit Jahren nicht mehr gehört.
    »Untrennbar«, sagte ich froh, dass auch mir der Satz wieder einfiel.
    Der Durchbruch kam schließlich, nachdem sich dank Kates Hartnäckigkeit ein privater Facharzt mit Reefs Zustand befasst hatte. Durchbruch ist vielleicht nicht das richtige Wort, denn was wir erfuhren, war alles andere als positiv.
    »Wir haben eine große Geschwulst in Reefs Unterleib gefunden«, sagte eine Stimme.
    Ebenso gut hätte ein Alien mit uns sprechen können, so seltsam hörte sich das an. Man hatte früher nur Reefs Knie und Hüfte gescannt und geröntgt, aber jetzt zum ersten Mal seinen Unterleib. Zu diesem Zeitpunkt war Reef siebzehn Monate alt und ans Bett gefesselt.
    Die Geschwulst war nicht nur groß, sie war gigantisch. So groß wie eine Grapefruit, füllte sie drei Viertel seines Unterleibs und reichte bis zu seiner Leiste. Kate und ich klammerten uns aneinander und weinten, dann stellten wir unter Tränen die hoffnungsvolle Frage: »Wie kann das behandelt werden?«
    Die Entdeckung der Geschwulst führte zu gemischten Gefühlen. Ich erinnere mich, irgendwie erleichtert gewesen zu sein, dass man endlich nach acht langen Monaten der Ungewissheit die Quelle von Reefs Krankheit gefunden hatte, aber natürlich waren es, wie man es auch drehte und wendete, keine guten Neuigkeiten. Jetzt lastete auf uns eine weitere bohrende Sorge, deren Tragweite wir noch gar nicht ermessen konnten.
    »Was für eine Geschwulst ist das, Singe?«, schluchzte Kate und versuchte dabei in meinen Augen einen tröstlichen Funken zu entdecken. »Ich habe solche Angst. Ich habe Angst, ihn zu verlieren. Ich könnte nicht weiterleben, wenn er stirbt.«
    »Bitte hör auf zu weinen, Kate. Du bist jetzt im siebten Monat schwanger. Du darfst so nicht denken. Bleib zuversichtlich, das ist für Reef das Beste. Für ihn musst du stark sein.«
    Aber Kate war machtlos gegen ihre Tränen. Ich hielt sie schweigend in den Armen, während sie sich schluchzend von Reef abwandte. Er hatte schwarze Ringe unter seinen Augenhöhlen und starrte ins Leere. Seine Haut war schneeweiß, und sein Atem ging flach. Es fiel mir sehr schwer, aufmunternde Worte für Kate zu finden. Keiner von uns nahm das »K«-Wort in den Mund, obwohl es uns auf Schritt und Tritt verfolgte, wie ein böser, raubgieriger Elefant, der unsere Welt niederzutrampeln und zu vernichten

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