Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter
in das blaue Stockwerk?«, fragte er, weil er das Prozedere bereits kannte.
»Genau«, sagte ich mit aller Munterkeit, die ich aufbringen konnte, froh, dass er es leichtzunehmen schien.
Wir kannten die Abläufe beide ganz genau. Nachdem ich unterschrieben hatte, nahmen wir eine Karte fürs Röntgen, gingen dann hoch in den dritten Stock, wo wir warteten, bis wir in die Kabine gerufen wurden. Reef ging ganz locker damit um und blieb ganz still sitzen, während die Röntgenassistentin die Aufnahmen machte, vergaß auch nicht, bitte und danke zu sagen. Mir ging das Herz über vor Liebe. Wenn ich jetzt auch noch Reef verlor …
»Reef Greene zu Professor Stevens«, rief die Krankenschwester. Ich wurde sofort ruhiger, als ich Reef in den erfahrenen Händen von Professor Stevens sah, war aber dennoch voller Sorge. Wir gingen die üblichen Fragen über Reefs momentane gesundheitliche Verfassung durch, sprachen über erhöhte Temperatur, Übelkeit, Bauchbeschwerden oder Stürze, die er möglicherweise gehabt hatte.
»Er ist auf dem Spielplatz hingefallen und hat sich dabei eine böse Schnittverletzung zugezogen, aber das ist natürlich nichts Ungewöhnliches«, berichtete ich. Reef hatte immer irgendwelche Schnitte und Blutergüsse, weil er sich von seinem kranken Bein nicht ausbremsen lassen wollte. Er verliert öfters mal das Gleichgewicht und hat deshalb schon recht viele Stürze erlebt.
Professor Stevens untersuchte die Knoten auf Reefs Unterleib und gab zu, dass auch er ein wenig besorgt war und sie genauer untersuchen wollte. Mir wich die Farbe aus dem Gesicht, aber Professor Stevens erklärte elegant, dass möglicherweise eine Infektion infolge der Schnittwunde zu den Lymphknoten hochgewandert war und diese hatte anschwellen lassen, weil sie die eindringenden Keime bekämpften.
Ich stieß einen stillen Seufzer der Erleichterung aus, würde mich aber erst überzeugen lassen, wenn ich in der folgenden Woche entsprechende Resultate bekam. Es war wie ein Déjà-vu, als ich wieder einmal auf Scan-Resultate wartete und die Tage und Stunden zählte, bis ich sie erhielt, um dann hoffentlich wieder ins normale Leben zurückkehren zu können. Ich lenkte mich mit den Vorbereitungen auf unseren nächsten Wohnwagenausflug ab.
Am Montagmorgen hatten wir alles gepackt und waren startklar, als das Telefon läutete. Ich hatte meine ganze Willenskraft darauf gelenkt, dass der Anruf vor unserer Abfahrt erfolgte, und ich lauschte mit angehaltenem Atem der Nachricht, die Professor Stevens mir ausrichten ließ.
»Wegen Reefs Knoten brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen«, beruhigte mich die sanfte Stimme einer Krankenschwester. »Wie Professor Stevens gehofft hatte, sind es harmlose ›Schrotkugelknoten‹, höchst wahrscheinlich ausgelöst durch Reefs letzten Sturz.« Die Worte waren so beruhigend, dass es mir vorkam, als wären sie durchs Telefon gekommen und hätten meine Sorgenfalten geglättet, während sie mir ins Bewusstsein drangen.
»Herzlichen Dank«, sagte ich und musste plötzlich nach Luft schnappen, weil ich den Atem so lange angehalten hatte. Mein Puls raste, und mir war ganz schwindelig vor Erleichterung. Als meine Angst verpuffte und sich in ein Glücksgefühl verwandelte, das sich in jeder Zelle meines Körpers ausbreitete, konnte ich das fast hören.
Ich war in Hochstimmung und hatte auf dem ganzen Weg zum Campingplatz ein breites Lächeln im Gesicht.
»Wir werden unglaublich viel Spaß haben«, sagte ich zu den Jungs mit echter Überzeugung, und den hatten wir dann auch.
Kate hatte diesen Platz geliebt, weil hier immer jede Menge Kaninchen um den Wohnwagen hoppelten. Die hatte sie fasziniert beobachtet, wenn sie einander jagten oder am Gras mümmelten, und sich vom Anblick der Jurassic Coast verzaubern lassen. Es tat gut, sie so in Erinnerung zu haben, aber als wir so richtig angekommen waren in unserem Urlaub, stellte ich zu meiner Erleichterung fest, dass diese Reise nicht durch Erinnerungen an Kate dominiert wurde, wie das noch bei unserem letzten Wohnwagenurlaub der Fall gewesen war. Ich glaube, die Jungs erwähnten Mummy nicht einmal, vermutlich weil wir mit meiner Seite der Familie und nicht mit ihrer unterwegs waren. Auch das fand ich nicht schlimm. Vergessen würde Kate niemals sein, doch unser Leben ging weiter, und ich schaute mit einem guten Gefühl in die Zukunft.
KAPITEL 7
»Feiert die Geburtstage groß«
»Wird es zu meinem Geburtstag eine Party geben, Daddy?«, wollte Reef
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