Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter
und mehreren Krankenschwestern, darunter auch Reefs Stationsschwester Jamie, nahm auch eine Krankenschwester von CLIC Sargent daran teil, die, wie ich wusste, speziell für den Umgang mit Krebspatienten im Kindesalter ausgebildet war.
Kate und ich hielten uns an der Hand, als der Facharzt mit gedämpfter, aber ernster und verbindlicher Stimme zum Schlag ausholte. Er sagte etwa Folgendes: »Leider müssen wir direkt und aufrichtig sein …«, ehe er die erste Schreckenszeile aussprach: »Es tut mir sehr leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass die Geschwulst, der Tumor in Reefs Unterleib, krebsartig und bösartig ist.«
Das »K«-Wort, das uns verfolgt und geängstigt hatte, war keine schattenhafte Bedrohung mehr, es war real. Der Krebs attackierte Reef und damit indirekt auch mich und Kate. Die Worte trafen mich wie ein körperlicher Schlag. Ich fühlte mich verletzt und hätte mich am liebsten übergeben. Kate las in meinem Gesicht, und ich verfolgte, wie ihres in sich zusammenfiel. »O Singe«, schluchzte sie. »Ich kann es nicht glauben. Ich kann es einfach nicht glauben.« Ich hielt sie fest, spürte ihr Zittern und Schluchzen, während mir selbst die Tränen über die Wangen liefen und in Kates Haare tropften.
»Ich auch nicht«, war alles, was ich sagen konnte. »Ich auch nicht.«
Durch einen Tränenschleier erreichte uns die Information, dass Reef an »rhabdoidem Weichteilsarkoma« erkrankt war, einer extrem seltenen Krebsform. Während der Tumor wuchs, hatte er sich um den großen Oberschenkelnerv seines Beins gewickelt, und es bestand die Gefahr, dass die aggressive Behandlung, die Reef benötigte, den Nerv noch weiter schädigte. Man räumte ihm eine Überlebenschance von sechs Prozent ein und warnte uns, dass er womöglich nie wieder laufen konnte.
Das war unfassbar. Wir hätten mit einem aufgeregten Reef das neugeborene kleine Brüderchen besuchen sollen, doch selbst das Leben von Finn, der viel zu früh das Licht der Welt erblickt hatte und so zerbrechlich war, stand auf der Kippe. Die Lage hätte schlimmer nicht sein können. Ich war angeschlagen und hilflos wie ein Schwimmer in einem Eismeer, über den eine gefrorene Welle nach der anderen hereinbricht und damit all seine Kraft aufzehrt und ihm das Atmen unmöglich macht.
Reefs Krebs war so selten, dass, ihn eingeschlossen, bisher nur acht diagnostizierte Fälle existierten, zudem erfuhren wir, dass das älteste überlebende Opfer dieser Erkrankung nur sechzehn Jahre alt geworden war. Weil der Tumor bei Reef so aggressiv sei, so der Facharzt, müssten wir damit rechnen, dass unser Sohn deutlich früher daran sterben würde. Einen Fall wie seinen hätten sie noch nicht gesehen, denn der Tumor sitze im Beckenbereich, entsprechend wüssten sie noch nicht, wie sie ihn behandeln sollten.
»Wie lang geben Sie ihm?«, erkundigte Kate sich tapfer. Sie zitterte von Kopf bis Fuß.
Insgeheim befürchtete ich, sie würden fünf Jahre sagen oder sogar zehn. Er war ein Kleinkind, gerade mal achtzehn Monate alt, aber er würde doch bestimmt das Teenageralter erreichen, selbst wenn er es nicht bis zu seinem sechzehnten Geburtstag schaffte?
»Es tut uns sehr leid, aber Reef wird womöglich nur noch ein paar Tage zu leben haben«, lautete die unfassbare Antwort.
»Tage?«, hakte Kate verzweifelt nach. »Tage?« Ihre Stimme klang brüchig und verwirrt. Sie hatte keine Farbe mehr im Gesicht und sah aus wie ein Schatten ihrer selbst. Ich schlang meine bebenden Arme um sie, besorgt, sie könnte vollkommen ausgedörrt zu Boden sinken. Wir klammerten uns aneinander und schauten uns ungläubig in die Augen, bevor wir mit Entsetzen Zeugen einer Diskussion unter den Ärzten wurden, ob sie noch abwarten sollten, bis sie mehr über Reefs Tumor wussten, ehe sie mit einer auf ihn zugeschnittenen Chemotherapie begannen.
Obwohl Kate und ich am Boden zerstört waren und uns völlig verloren vorkamen, waren wir uns in einem Punkt absolut einig: Reef ging es so schlecht, dass man ihn sofort mit irgendeiner der allgemeinen Chemotherapien behandeln sollte. »Bitte fangen Sie jetzt gleich mit der Behandlung an«, flehte Kate die Ärzte an. »Ich möchte keine Zeit mehr verlieren. Wir haben keine Zeit zu verlieren.« Ich drückte ihre Hand und nickte zustimmend.
Die Ärzte waren einverstanden und leisteten Erstaunliches. Obwohl ihnen eine derart schwierige Aufgabe bevorstand, versuchten sie die Wogen zu glätten, indem sie uns Mut machten und Reef behandelten. Wir sollten trotz
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