Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter
der schlimmen Diagnose die Hoffnung nicht aufgeben, erklärten sie uns.
Reef bekam seine ersten Krebsmedikamente, während eine Notfallszintigraphie am Knochen, Blutuntersuchungen und Kardiogramme gemacht wurden, um einen Langzeitplan für seine Chemotherapie auszuarbeiten. Wir gaben unsere Zustimmung, Reef mit so viel Chemo- und Radiotherapie vollzudröhnen, wie sein kleiner Körper verkraften konnte, eine Behandlung, die etwa ein Jahr dauern würde, sofern er das Glück hatte, so lange am Leben zu bleiben.
»Die Chancen, von diesem Krebstypus heimgesucht zu werden, sind so gering wie die, vierzigmal hintereinander in der Lotterie zu gewinnen.« Diese Worte eines Arztes habe ich noch im Ohr, obwohl vieles, was zu diesem Zeitpunkt geschah oder gesagt wurde, verschwommen ist. Es klang so surreal, aber damals fühlte sich alles surreal an.
Kate brach so oft zusammen, dass ich aufhörte zu zählen. Eigentlich hätte sie die letzten Schwangerschaftswochen und ihren wohlverdienten Schwangerschaftsurlaub genießen sollen, anstatt all die schrecklichen Nachrichten verdauen zu müssen, während auch Finn in seinem einsamen kleinen Inkubator am anderen Ende der Stadt um sein Leben kämpfte. Wie liefen wie Zombies umher, weinten, zitterten vor Angst, wir waren mit den Nerven am Ende und immer in Angst, jemand könnte anrufen oder ein Arzt uns auf die Schulter tippen und weitere schlimme Nachrichten überbringen.
»Ich wünschte, ich hätte den Krebs, nicht Reef«, sagte Kate, als wir eines Abends allein waren. Und ich weiß, dass es ihr ernst damit war.
»Sag das nicht, Kate«, widersprach ich, weil ich einen derartigen Gedanken auch nicht für den Bruchteil einer Sekunde zulassen wollte.
»Es ist aber wahr. Ich würde sofort mit ihm tauschen. Wie soll ein so kleiner Junge eine derart aggressive Behandlung überstehen?«
Ich hatte keine Antwort.
»Und was ist, wenn sich Finns Zustand verschlechtert? Bei unserem Pech könnte es gut sein, dass wir beide verlieren.«
Jede Faser meines Körpers schmerzte vor Anspannung, gleichzeitig lief mein Herz über vor Liebe für Kate. Ich konnte ihr keine Antwort geben, weil ich nicht begreifen konnte, wieso unser Leben in so kurzer Zeit eine derart schlimme Wendung genommen hatte. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, keinerlei Kontrolle mehr über unsere Zukunft zu haben. Noch nie hatte ich mich derart verwundbar gefühlt. Es war, als wäre unser komplettes Leben von einem Augenblick zum anderen völlig umgekrempelt worden.
Wie war es dazu gekommen? Kate und ich hatten immer zu den Glücklichen gehört, waren das Goldpärchen gewesen, das gemeinsam die Erde bereiste und ein Abenteuer nach dem anderen genoss, während schon das nächste in Planung war. Ihr habt euer Glück selbst in der Hand, hatte ich Freunden immer geantwortet, wenn sie uns um unseren aufregenden Lebensstil beneideten. Als Reef dann kam, war er die Krönung von allem, was wir uns erträumt hatten, und mehr. Ich weiß, das sagen alle Eltern von ihrem Kind, aber Reef war wirklich das vollkommenste und schönste Baby, das wir uns vorstellen konnten. Er sah umwerfend aus und hatte ein fröhliches, sonniges Gemüt, das zu seinem blonden Haarschopf passte, wir vergötterten ihn.
Am Anfang von Reefs Krankheit war ich voller Zuversicht, dass unser blauäugiger Junge sie abschütteln und bald wieder lächeln würde. Ich ging davon aus, dass wir, sobald Kate unser zweites Kind zur Welt gebracht hatte, eine perfekte vierköpfige Familie sein würden, die ganz oben durchs Leben schwimmen und sich ohne einen Blick zurück sagen würde: »Gott sei Dank ist das alles vorbei. Was für ein Glück, dass wir zwei so wunderbare kleine Jungs haben.« In unseren dunkelsten Tagen, während wir zwischen den beiden Krankenhäusern hin und her pendelten, um unsere zerbrechlichen Kinder zu besuchen, wünschte ich mir nur, meine Frau wieder glücklich zu sehen. Erleben zu dürfen, wie sie unsere zwei umwerfenden kleinen Jungs im Sonnenschein an sich drückte, war ein Traum, den ich mit aller Kraft Wirklichkeit werden lassen wollte. Mehr konnte ich nicht erwarten.
Mein Wunsch ging schließlich in Erfüllung, nachdem Reef mehr als zwei Jahre permanente Krebstherapie überlebt hatte. Zu der Therapie gehörten neben einer großen Operation zur Entfernung des Tumors zahllose Blut- und Blutplättchentransfusionen sowie unzählige Scans und Röntgenaufnahmen zur Kontrolle der Funktion seiner Nieren und seines Herzens. Dazu kamen
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