Gib dich hin (German Edition)
unscheinbar sein. Für ihn war sie das Schönste, was er jemals zu Gesicht bekommen hatte. Er fühlte angenehme Wärme, ihren leisen Herzschlag, der ihn beruhigte, ihre Sanftheit und Freundlichkeit. Nach all den Jahrhunderten in der Dunkelheit war ihre Erscheinung wie ein Licht, das ihm entgegenleuchtete, das Hoffnung spendete, ihn daran erinnerte, am Leben zu sein. Sie überstrahlte alles, erleuchtete förmlich die Dunkelheit der Nacht.
Für ein Wesen wie ihn, das aus der Finsternis kam und dorthin zurückging, das den Tag nie erlebte, war alles, was mit Licht zu tun hatte, sehr verführerisch und anziehend. Es handelte sich um jene Anziehung, die man auch bei Magneten beobachten konnte. Plus und Minus. Licht und Dunkelheit. Starke Gegensätze, die einander brauchten.
Cynthia Guthan drehte sich um und blickte in seine Richtung. Hatte sie ihn bemerkt? Er konnte sehr unauffällig sein, wenn er es wollte. Und die Nacht war sein Freund, legte ihre Hand über ihn, so dass das Mädchen ihn nicht sehen konnte. Sie ging weiter, lief die Treppe der U-Bahnstation hinunter und wartete dort auf ihre Bahn. Viele Menschen fuhren jetzt nach Hause. Unter ihnen fiel er nicht auf. Und so gelang es ihm, ihr bis in die Koppenstraße zu folgen.
Bis hierhin war alles gutgegangen, aber dann wurde er unvorsichtig, konzentrierte sich mehr auf ihr Strahlen als auf seine Tarnung. Und so knackte der Zweig, auf den er trat und zerbrach. Cynthia, die hektisch in ihrer Handtasche nach ihrem Schlüssel kramte, drehte sich erneut ängstlich um. Gerade noch rechtzeitig verbarg er sich hinter einem nahestehenden Baum. Ihr Herz schlug nun schneller, das hörte und spürte er. Sie hatte Angst. Vielleicht fühlte sie sogar, dass er hier war.
Endlich hatte sie den Schlüssel gefunden, steckte ihn ins Schloss und drehte ihn um. Die Tür ging auf und fiel kurz darauf krachend zu. Er wartete, harrte aus, und nur wenige Augenblicke später, nachdem er sich versichert hatte, dass niemand ihn sah, breitete er seine Schwingen aus und flog hinauf, setzte sich auf den Balkon, von dem aus er ihre Präsenz am stärksten spürte, und wartete ab.
Wenig später betrat sie in ihrem Nachthemd das Schlafzimmer. Ihr Strahlen war einnehmend, berauschend, übersinnlich schön. Er konnte sich nicht an ihr sattsehen, verspürte den Drang, sie zu berühren.
Cynthia schaltete das Licht aus, und für ihn sah sie nun wie ein Geisterwesen aus, das im Dunkeln leuchtete. Dann legte sie sich ins Bett und schlief kurze Zeit später ein.
Er legte beide Hände auf die Fensterscheibe und blickte hindurch, wohlwissend, dass er keine Fingerabdrücke hinterlassen würde. Sie drehte sich im Schlaf, bewegte die Beine, schien zu träumen. Dieses unschuldige kleine Ding. Ein Arm fiel herunter, und ihre Finger berührten fast den Boden. Zu gern wollte er diese kleine Hand aufheben und festhalten.
Die Seelen, die er für Ovida sammelte, interessierten ihn in der Regel nicht. Er hatte nur ein Interesse: sich endlich freizukaufen! Und er wäre besser beraten, seinen Auftrag schnell zu erledigen. Aber der war ihm plötzlich nicht mehr so wichtig. Er wollte diesem Leuchten nahe sein, so nah und so lange, wie es eben ging. Es übte eine starke sexuelle Anziehungskraft auf ihn aus. Bis die Sonne aufging und seine Haut in Stein verwandelte, würde er hierbleiben und sich ganz seinen dunklen Gelüsten hingeben. Er spürte seine Erektion, wie sie gegen den Stoff seiner Hose stieß. Seine Hand fuhr in die Hose, um sich Erleichterung zu verschaffen, und während er sich berührte, wurde ihm klar, dass ihm das allein nicht reichen würde. Er wollte mehr.
Kapitel 5
Nick lag in seinem Bett und las ein- und dieselbe Seite seines Krimis inzwischen zum vierten Mal, ohne dass er einen Sinn hinter den Buchstaben ausmachen konnte. Sein Blick glitt immer wieder zu dem Vertrag, der auf seinem Nachtschränkchen lag und zu der kleinen Phiole, die danebenstand.
»Ein Vorgeschmack auf das, was sein könnte«, hatte Herr Mandrake gesagt, und Nick hatte verstanden. Nun, da diese magische Phiole immerzu in seinem Blickfeld war, konnte er sich kaum auf etwas anderes konzentrieren. Er war fasziniert von der grünlich schimmernden, klaren Flüssigkeit, die schwach zu glühen schien. Es sah aus, als befände sich eine kleine Lichtquelle in dem Trank, die sich im Glas reflektierte. Neugierig, aber auch argwöhnisch, denn mit Magie hatte er sonst nicht viel am Hut, nahm er sie in die
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