Gib dich hin (German Edition)
sollte. »Weiß denn Gregor von dem Baby?«, fragte sie schließlich.
»Ja«, flüsterte Anna und senkte den Kopf. »Ich habe es ihm im Streit gesagt. Du hättest ihn sehen sollen. Er war geschockt. Aber da war auch Freude in seinen Augen.«
Der Kellner kam zurück und nahm die Bestellungen auf. Wenig später brachte er zwei Mango Lassi und Huhn Curry an ihren Tisch.
»Vielleicht solltet ihr euch noch mal aussprechen?«, schlug Cynthia vor. »Wenn der erste Schock verdaut ist, meine ich.«
Anna schüttelte entschlossen den Kopf. »Wir hatten damals eine Regel. Niemals den anderen betrügen. Er hat sie gebrochen, und ich muss jetzt die Konsequenzen ziehen.« Erneut traten ihr Tränen in die Augen. Sie zog das zusammengeknüllte Taschentuch aus ihrer Hosentasche und schnäuzte sich noch mal.
»Willst du dich denn wirklich von ihm trennen?«
Anna atmete tief durch, griff dann mit zitternder Hand nach ihrem Glas und nahm einen großen Schluck. »Ich weiß es nicht«, gab sie zu, und ihre Stimme bebte vor Aufregung.
Cynthia konnte Anna verstehen. Sicherlich war sie sehr verwirrt.
»Mein Kind soll auch einen Vater haben. Ich weiß nur nicht … ob ich ihm das verzeihen kann.«
Ihr wäre es an Annas Stelle kaum anders gegangen. Aber diese Frage konnte jetzt noch nicht beantwortet werden. Sie musste erst einmal zu sich selbst finden. Noch war alles sehr frisch. Und der Schock saß tief. Was Anna jetzt brauchte, war Halt, Zuspruch. Sie legte ihre Hand auf die ihrer Freundin und drückte sie sacht. »Ich stehe hinter dir. Sag mir, wenn ich etwas für dich tun kann.«
Anna nickte dankbar und lächelte zum ersten Mal wieder. »Gut zu wissen, dass du für mich da bist. Ich brauche noch ein bisschen Zeit, um mir über alles klar zu werden.«
»Nimm dir so viel, wie du brauchst. Wenn du möchtest, kannst du bei mir einziehen.« Mandrake würde das nicht gefallen, aber in diesem Fall musste er es akzeptieren. Anna schüttelte jedoch den Kopf. »Ich bleibe in der Wohnung, Greg hat sich ein Zimmer genommen.« Die Art, wie sie seinen Namen aussprach, nämlich geradezu zärtlich, ließ Cynthia erkennen, wie stark Annas Gefühle für Gregor noch immer waren. Vielleicht gab es ja doch noch Hoffnung.
Cynthia spürte, dass ihr Zuspruch und ihre Gegenwart Anna guttaten, und als sich die Freundinnen trennten, wirkte Anna schon etwas gefasster. »Danke, dass du dir so schnell Zeit für mich genommen hast.«
»Ist doch Ehrensache. Du warst immer für mich da, und ich bin froh, dass ich jetzt etwas zurückgeben konnte.«
Kapitel 14
Die letzten Strahlen der Sonne verschwanden am Horizont. Mandrake spürte, wie seine Glieder schmerzten. Ein Zeichen dafür, dass sie zum Leben erwachten. Er hockte in gekrümmter Haltung auf dem kleinen Vorsprung des Museumsdachs. Sein Körper fühlte sich steif, versteinert an, und das war er ja auch. Noch.
Allmählich verwandelte sich der tote Stein in lebende Materie, bröckelte ab wie alter Putz. Er konnte sein Herz spüren, das kräftig und gleichmäßig in seiner Brust schlug. Auch das warme Blut, das durch seine Venen zirkulierte. Und er spürte noch etwas. Etwas sehr Erfreuliches. Die Nähe des Mädchens. Sie war auf dem Weg nach Hause. Ihre Präsenz war so außergewöhnlich stark, dass er sie selbst von hier aus spüren konnte.
Cynthia Guthan war der Grund, warum er sich am Tag hier niederließ, und der Grund, warum ihm die Nacht nun heller erschien. Sie war alles, was er wollte.
Er zog sich in den Schatten zurück, streckte seine müden Glieder, die noch immer etwas steinern waren, und breitete seine Lederschwingen aus. Dann nahm er Anlauf und stürzte sich in die Tiefe, doch sogleich beförderte ihn ein einziger kräftiger Flügelschlag hinauf. Er nahm den kleinen Balkon, der zu ihrer Wohnung gehörte, ins Visier, streckte die mit Klauen versehenen Hände nach der Brüstung aus, um sich daran hochzuziehen, als plötzlich ein roter Blitz wie aus dem Nichts vor seinen Augen aufzuckte. Er war so hell, dass Mandrake im ersten Moment glaubte, zu erblinden. Er verlor die Kontrolle, ein Schwindel riss ihn zur Seite, er schaffte es gerade noch auf das Dach eines kleineren Wohnhauses. Doch seine mächtigen Klauen verloren den Halt, und er rutschte die Schräge des Daches hinunter, versuchte sich an den Schindeln festzukrallen, aber der Sog der Tiefe hatte ihn erfasst. Rasch breitete er die Flügel wieder aus, um den Sturz abzufangen, doch
Weitere Kostenlose Bücher