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Gib mir deine Seele

Gib mir deine Seele

Titel: Gib mir deine Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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Honigtopf erwischt hatte, nun stand sie stocksteif da und starrte zur Tür. Vielleicht hätte er sie doch vorwarnen sollen – aber so blass, wie sie jetzt aussah, wäre sie ihm wahrscheinlich davongelaufen, hätte sie schon früher gewusst, wer ihr heutiger Vocal Coach sein sollte.
    »Das ist Pauline Roth«, stellte er sie kurz darauf der Corliss vor und beobachtete erfreut, wie sehr sie sich um Haltung bemühte. Paulines Manieren waren einwandfrei. Erleichtert zog er sich an seinen Schreibtisch zurück, während Elena ohne Umschweife zum Flügel ging, sich auf den Klavierhocker setzte und fragte: »Was werden Sie singen?«
    Die erste Hürde war genommen. Bedauerlicherweise konnte er nicht verstehen, was die beiden Frauen leise miteinander besprachen, also versuchte er, sich auf seine Unterlagen zu konzentrieren. Doch der Jahresbericht der australischen Kulturstiftung, die ihn für eine Kooperation interessieren wollte, konnte ihn nicht fesseln. Wenn er ehrlich war, hätte das in diesen Minuten nicht einmal eine hübsch verpackte Venus direkt auf seinem Schreibtisch vermocht. Ebenso wenig wie irgendeine andere Schönheit. Nur Pauline. Sie war es, die ihn interessierte.
    Wie auf ein Stichwort erhob sich ihre Stimme. Sie klang gut, besser als beim Vorsingen in Covent Garden, aber dennoch irgendwie gepresst, und ihm kam es vor, als habe sie regelrecht Angst vor den hohen Tönen.
    »Nein, nein, nein! So geht das nicht.« Elena sprang auf und ging um Pauline herum. »Ich wette, du bist schnell heiser. Wo hast du Gesang studiert? Hier in England?« Sie wartete ihre Antwort nicht ab, sondern schimpfte: »Diese Briten sind besessen von ihren College-Chören und vergessen, dass die Stimme eines Erwachsenen anders trainiert werden muss als die eines Kindes.«
    Sie warf Constantin einen Blick durch die geöffnete Tür zu und fuhr dann weniger aufgebracht fort: »Wir werden das abstellen. Pass auf …«
    Dann folgte eine Reihe von Instruktionen, die er nicht verstand, die jedoch bei Pauline auf fruchtbaren Boden zu fallen schienen. Schon lange schätzte er Elenas Talent, das Beste aus jedem Sänger herauszuholen. Aber noch nie hatte er eine ihrer Stunden miterlebt, weil sie niemanden dabeihaben wollte, wenn sie mit ihren Schülern arbeitete. Ihn aus seiner eigenen Wohnung zu werfen wagte aber offenbar selbst die wunderbare Corliss nicht.
    Nach einigen weiteren Anläufen veränderte sich Paulines Stimme. Als hätte sie zuvor versucht, sie mit Druck heller zu machen, wurde ihr Klang nun reiner; er hatte mehr Resonanz, und ohne dunkler zu werden, gewann die Stimme an Volumen.
    »So ist es gut. Und jetzt sing mir noch einmal dein Sandmann-Liedchen vor. Dann ist es für heute genug, wenn du am Abend noch auftreten willst.«
    Pauline schloss kurz die Augen, um sich konzentrieren. »Der kleine Sandmann bin ich …«
    Am Ende der kurzen Arie wusste Constantin, dass er eine Jahrhundertstimme entdeckt hatte. Auf einmal schien seine Aufgabe nicht mehr unlösbar zu sein. In einem Jahr , dachte er, wird die ganze Welt sie kennen und lieben. Es war ein Versprechen. An sich selbst, an Pauline und an ein ewig hungriges Publikum.
    »Gut«, unterbrach Elena seine Gedanken. »Aber das kannst du besser.« Wieder folgten einige Anweisungen, dann erklärte sie die Stunde für beendet. »Ich sehe dich in der kommenden Woche. Bis dahin hast du diese Technik so verinnerlicht, dass wir damit beginnen können, etwas für dein Appoggio zu tun. Du wirst sehen, danach trägt deine Stimme über das gnadenloseste Orchester hinweg, ohne dass du sie überstrapazierst. Nur so, meine Liebe, hast du die Chance, in dem Haifischbecken da draußen zu überleben.« Sie sah auf ihre elegante Armbanduhr. »Wo ist nur die Zeit geblieben? Mein nächster Termin wartet schon.«
    Constantin begleitete sie zur Tür und fragte mit gedämpfter Stimme: »Habe ich dir zu viel versprochen?«
    »Du hast selbst gehört, was sie kann. Wenn ich mit ihr fertig bin, ist sie die Beste!«
    »Danke«, sagte er, und selten hatte er dieses eine Wort so ernst gemeint.
    »Ich tue das nicht für dich, Constantin«, sagte sie und funkelte ihn böse an. »Ganz bestimmt nicht für dich.«
    Bedächtig schloss er die Tür und sagte kaum hörbar: »Ich weiß.«
    Doch dieser kurze Augenblick der Schwäche war schnell vorüber, und er ging zu Pauline, die verträumt am Flügel stand und aus dem Fenster sah.
    »Das war großartig.« Dicht hinter ihr blieb er stehen, nicht sicher, ob sie ihn überhaupt

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