Gib mir deine Seele
Constantin mit, als er eine Karte für den Abend reservieren wollte.
Seine Beziehungen spielen zu lassen wäre keine gute Idee gewesen. Jedes Interesse, das er an Pauline zeigte, würde sofort registriert werden. Schnell könnte sie in den Verdacht geraten, dass ihr eine solche Aufmerksamkeit lediglich aufgrund der Verbindung zu jemandem wie ihm zuteilwurde.
Nicholas wusste Abhilfe. »Ich frage Henry, ob sie uns ein Ticket besorgen kann«, schlug er vor.
»Henry, ja? Ihr kennt euch schon näher?«
»Ich bitte dich! Sie ist ein anständiges Mädchen!« Nicholas lachte. »Nein, im Ernst. Henriette ist wirklich sehr süß. Wenn ich nicht aufpasse, klaut sie mir womöglich noch mein Herz.«
Das hielt Constantin für unwahrscheinlich, aber er sagte nichts dazu. »Mach, was du für richtig hältst, nur halte mich dabei raus, verstanden?«
»Natürlich.«
Wenig später konnte sein Assistent bereits Erfolg vermelden. Henry würde dafür sorgen, dass sie in der Pause ins Theater gelangten. »Wie es aussieht, werden wir wohl stehen müssen – aber du kannst dir dein Paulinchen anhören.«
Unter Constantins Blick erstarrte er. »Entschuldige, das war respektlos.«
»Allerdings. Du weißt ebenso gut wie ich, was auf dem Spiel steht.«
»Monsieur.« Mit einer Verbeugung wollte sich Nicholas verabschieden.
»Wir sitzen in einem Boot. Vergiss das nicht«, sagte Constantin eine Spur milder.
»Ich weiß.« Nicholas verbeugte sich erneut und zog sich lautlos zurück. Gleich darauf klingelte das Telefon.
»Hast du diese Kritik gelesen?«
Constantin konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen und war froh, dass die Corliss ihn in diesem Augenblick nicht sehen konnte, denn dieses Lächeln glich eher dem zufriedenen Grinsen eines Siegers. Natürlich wusste er, dass die Schlacht noch lange nicht geschlagen war, aber die Ouvertüre klang bereits äußerst vielversprechend.
Die letzten Tage hatte sie wie in einem Traum verbracht. Die befreiende Erfahrung mit der neuen Stimmtechnik und der lobende Artikel von Steven Gehry ließen Pauline hoffen, dass es nun endlich mit ihrer Karriere vorangehen würde. Alle Vorstellungen waren schlagartig ausverkauft, und die Theaterleitung hatte den entscheidenden Satz aus der Rezension kopiert und ans Schwarze Brett neben der gläsernen Pförtnerkabine geheftet.
Doch das Wichtigste war der Kuss. Zugegeben, Constantin einfach zu küssen – aus Dankbarkeit oder auch nicht – war verwegen gewesen. Zuerst hatte sie bei ihm nicht viel mehr als positive Überraschung gespürt, doch dabei war es nicht geblieben. Zum Glück hatte wenigstens er genug Verstand besessen und an die Vorstellung gedacht. Sie war noch niemals zu spät zu einem Auftritt gekommen. Disziplin und Zuverlässigkeit eines Künstlers konnten ausschlaggebend sein, wenn es um die Vergabe einer Rolle ging, denn im Theater- und Opernbetrieb hatte niemand Lust, auf die Allüren einer Diva Rücksicht zu nehmen.
Aber hätte er sie beim Abschied nicht nach einem neuen Date fragen müssen? Sie selbst war dazu nicht in der Lage gewesen, und dafür hatten sogar ihre Freundinnen Verständnis gezeigt.
Inzwischen war die zweite Unterrichtsstunde vorüber. Von Bezahlung wollte die Corliss nichts wissen. »Meine Honorare kannst du dir nicht leisten, Kindchen«, hatte sie gesagt. Sie solle es als eine Art Dienst an der Kunst nehmen und sie nicht mit dummen Fragen ärgern, sondern lieber an ihrer Atemtechnik weiterarbeiten. Das hatte Pauline dankbar getan.
»Au! Henry, spinnst du?« Sie probierten gerade die Kostüme an, die Henry für die Weihnachtsfeier geschneidert hatte. Jedes Jahr am sechsundzwanzigsten Dezember fand im White Lion eine geradezu legendäre Christmas-Party statt. Dafür, dass er sie mit manch warmem Essen unterstützt hatte, bedankten sich die Künstler an diesem Tag beim Wirt mit einer Kostprobe ihres Könnens.
Sie und Henry würden Weihnachtslieder aus seiner irischen Heimat für ihn singen, und damit das Ganze nicht zu sentimental würde, hatte Henry sehr gewagte Engelskostüme entworfen.
Den Mund voller Stecknadeln, kniete sie vor Pauline und sagte etwas undeutlich: »Nun halt doch mal still!«
»Wie denn, wenn du mich andauernd piekst?«
»Daran ist deine Figur schuld.«
Empört sah Pauline an sich hinab. »Ich habe kein Gramm zugenommen, ich schwöre es.«
Henry stand auf, um ihr Werk zu betrachten. »Im Gegenteil. Du hast abgenommen, und es ist wirklich eine Herausforderung, den Bogen von der schmalen Taille zur
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