Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gib mir deine Seele

Gib mir deine Seele

Titel: Gib mir deine Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
Vom Netzwerk:
ihre Reisetasche, daneben zwei große Einkaufstüten eines bekannten italienischen Modehauses.
    Nebenan erklang Gemurmel. Geschirr klapperte.
    Das war ihre Chance. Schnell sprang Pauline auf, warf sich den achtlos hingeworfenen Bademantel über, griff nach der Tasche und nach kurzem Zögern auch nach den Designertüten und floh ins Bad. Die Tür, das wusste sie aus irgendeinem Grund, ließ sich nur absperren, wenn man sich kräftig dagegenlehnte. Erleichtert hörte sie gleich darauf den Riegel zuschnappen und hielt sich noch einen Moment lang an der Klinke fest, weil ihr schwindelig geworden war. So wie gestern …
    Was ist gestern nur geschehen? Die Erinnerung war wie ein glitschiges Stück Seife – sobald Pauline danach greifen wollte, entglitt sie ihr. Peinlich oder nicht, sie würde Constantin fragen müssen. Constantin. Wenigstens an seinen Namen konnte sie sich noch erinnern.
    Der Blick in den riesigen Spiegel war ein Schock. Die ohnehin schwer zu bändigenden dunklen Locken sahen aus, als hätte sie einen Stromschlag bekommen. Bisher hatte sich Pauline standhaft geweigert, sie auf Schulterlänge zu kürzen – so wie es die Maskenbildnerin jedes Mal vorschlug, wenn sie sich damit quälte, ihre Mähne unter dem Haarnetz zu verstauen, über das sie die unterschiedlichsten Perücken zu ziehen hatte.
    Vielleicht sollte ich sie doch abschneiden. Wenigstens ein Stückchen , dachte sie, während sie sich abmühte, die zerzausten Haare zu entwirren.
    »Pauline, ist alles in Ordnung?«, klang eine Stimme, Constantins Stimme, dumpf durch die geschlossene Tür.
    »Ja. Ich bin gleich so weit«, log sie.
    »Gut. Das Frühstück ist da.«
    Sie nannten sich also beim Vornamen, und sie sprachen Englisch miteinander. Welch ein Glück. Ihr Italienisch war nicht besonders gut. Das war sicher auch der Grund, warum sie die Einladung zum Abendessen aller aussichtsreichen Bewerber der gestrigen Audition falsch verstanden hatte. Nach dem Vorsingen hatte der Korrepetitor sie beiseitegenommen und sie zu dieser Veranstaltung eingeladen. Zwar war ihr die Art, wie er sich ihr genähert hatte, unangenehm gewesen, aber er hatte durchblicken lassen, dass ihre Chancen auf ein Engagement nicht schlecht standen. Und schließlich hatte ihr Janice noch kurz vor der Reise einmal mehr geraten, sich nicht so zu zieren.
    »Ein- oder zweimal einen Blowjob, dann hast du die Rolle. Was ist schon dabei, das ist ja nicht mal richtiger Sex!«
    Dieser und ähnliche Ratschläge aus dem Mund eines Kleinstadtmädchens aus dem frommen Mittleren Westen der USA hatten zu Beginn ihrer Freundschaft gewöhnungsbedürftig geklungen. Doch Janice war trotz einer bestenfalls mittelmäßigen Stimme erfolgreich. Sie würde in der nächsten Spielzeit in Paris singen und bekam sogar wohlwollende Kritiken. Pauline wollte das endlich auch. Und so hatte sie ihre innere Stimme ignoriert, die Einladung angenommen und … Da war sie wieder, diese beklemmende Leere. Sie konnte sich einfach nicht erinnern!
    Ihr Blick fiel auf die Tüten, und vorübergehend vertrieb die Neugier ihre Sorgen. Sie wusste nichts von einer Shopping-Tour. Wie auch? Ihre Reisekasse erlaubte ja nicht einmal einen schnellen Espresso im Straßencafé. Neugierig sah sie hinein und sog überrascht den Atem ein. Für mich? Die schicke dunkle Hose war nicht ihr Stil, aber so einen puderfarbenen Rollkragenpulli hatte sie sich schon immer gewünscht. Sie zog ihn vorsichtig aus der Tüte, hielt ihn an ihre Wange. Er fühlte sich herrlich weich an und bewirkte Wunder an ihrem blassen Teint. In der zweiten Tasche kamen Pumps zum Vorschein. Auch nichts für sie, doch als sie hauchzarte Unterwäsche zwischen den Fingern befühlte, glaubte sie, in einem Märchen gelandet zu sein. Pauline mochte arm sein, aber einen Blick für Qualität besaß sie sehr wohl, und dies waren die feinsten Spitzendessous, die sie je in Händen gehalten hatte. Mutiger sollte sie sein? Was soll’s.
    Kurzerhand schlüpfte sie in die Wäsche, nahm ihre Lieblingsjeans aus der Reisetasche, zog sie an und schloss den abgewetzten Ledergürtel. Jetzt noch der Pullover. Perfekt. Bis auf die Haare. Waschen und Föhnen würde ewig dauern. Entschlossen flocht sie sich einen Zopf, steckte ihn auf und schlang sich das weiche Tuch um den Kopf, das sie sonst gern um den Hals trug, um sich vor Zugluft zu schützen.
    Gut gelaunt durchquerte sie gleich darauf das Schlafzimmer, wobei sie allerdings den Blick auf das breite, zerwühlte Bett vermied, und öffnete

Weitere Kostenlose Bücher