Gib mir Menschen
es denn Gesetze! Ein solches Verbrechen, jemanden künstlich in Tiefschlaf zu halten, um die Produkte seines Gehirns verwerten zu können, würde nicht lange unentdeckt bleiben. Die Behörden würden sich einschalten und dafür sorgen, daß ich zu meinem Recht kam.
Du lebst in einem Rechtsstaat. Zumindest war das so, als du dich zum Schlaf weit unter Null hingelegt hast. Aber Systeme konnten gestürzt werden. Zehn, zwanzig Jahre waren eine lange Zeit, da konnte sich speziell auf dem politischen Gebiet schnell etwas ändern – und radikal ändern. Eine Diktatur konnte über Nacht kommen. Und was ist dann mit deinen Rechten, Danny-Boy?
Nein, nicht schon wieder. Was für krause Gedanken. Aber, gesetzt den Fall, es wäre doch so. Du mußt mit allem rechnen, mein Junge. Zwanzig Jahre! In dieser Zeit kann die Erde zu einem Paradies werden, aber auch zu einer Kloake. Warum denn gleich das Schlimmste annehmen? Weil die Wirklichkeit immer schrecklicher ist, als man es sich ausmalen kann.
Unter einer Diktatur hättest du keine Rechte!
Nein, hätte ich nicht. Mein Gehirn und der davon getrennte Körper würden zu einem willkommenen Versuchsobjekt werden. Ein überaus exotisches Spielzeug für irgendwelche skrupellosen Wissenschaftler, die sich überall und jederzeit fanden. Was man alles mit meinem Gehirn anstellen konnte! Wer würde dann alles an meinem Körper herumfummeln?
Wenn man mir nur nicht während des Tiefschlafs ein zusätzliches Paar Arme einpflanzte! Oder einen zweiten Kopf. Mein Gehirn vertauschte … Ich sah mein Spiegelbild schon als Menschenaffen.
Doch je mehr sich mein Gehirn mit dem Ausmalen von Schreckensbildern steigerte, je grausamer die Phantasien wurden, um so unwirklicher wurden sie auch und verloren so ihre Schrecken. Horror um des Horrors willen ist schon wieder infantil. Was für ein kindliches Unterbewußtsein ich haben muß. Dieser Ausflug ins Reich der Utopie bewirkte das Gegenteil von dem vermutlich Bezweckten, denn er erheiterte mich nur. Es war jedoch zu bedenken, daß ich bereits in der Zukunft lebte, die mir unbekannt war. Meine Gegenwart ist Vergangenheit. Seit zehn Jahren, seit zwanzig? Oder wie lange wirklich? Was kann in dieser Zeit alles passiert sein! Wie würde sich die Welt verändert haben?
Was erwartet mich nach dem Erwachen aus dem Tiefschlaf?
An diesem Punkt angelangt, hatte ich wieder einmal das Empfinden, daß meinen Körper eine Gänsehaut überkam. Denn ich bewegte mich schon wieder auf einen Teufelskreis von Fragen zu, auf die mein Unterbewußtsein die haarsträubendsten Antworten hervorzubringen drohte. Und davor fürchtete ich mich.
Doch war meine Angst unbegründet, denn diesmal blieben die erschreckenden Antworten aus, die mit einer Eskalation meiner inzüchtigen Emotionen spekulierten. Das Unterbewußtsein blieb stumm. Ich fühlte meinen Geist träge werden, und immer müder, so als fände er nach einer unvorstellbaren Ewigkeit endlich Schlaf.
Nur noch einmal meldete sich mein Unterbewußtsein mit einem Impuls:
Euthanasie! Dann erlosch es. Ich war jedoch schon viel zu lethargisch, um mich davon schrecken zu lassen, und ging mit einem durchaus optimistischen Gefühl in die Stille ein.
Das konnte nicht der Schlaf des Todes sein.
Das war der Friede vor dem Erwachen.
Mir wurde warm, und um mich wurde es hell. Wärme und Licht! Wie sehr ich sie bisher vermißt hatte. Ein wohliges Kribbeln überkam meinen Körper und pflanzte sich bis in die Zehenspitzen fort. Dort brandete es zurück und kam meinen Körper wieder herauf.
Dabei blieb es dunkel, und eigentlich bestrich mich ein kalter Hauch. Meine Sinne hatten mich getrogen, aber zu sagen, daß ich von ihnen genarrt worden war, das wäre gelogen. Es war nur auf mein Unvermögen zurückzuführen, diese Reizungen richtig zu beurteilen und einzuordnen. Wie lange hatte ich dieses Empfinden vermißt, die Augen gebrauchen zu können und Temperaturen mit den Hautsinnen zu messen. Geräusche wahrzunehmen! Zuerst erschien mir alles wie ein dumpfes Rumoren, aber je länger ich mein Gehör gebrauchte, desto besser konnte es zwischen den einzelnen Geräuschen differenzieren. Es kristallisierten sich hellere Töne heraus, wie das Scharren von Füßen, ein Klick-Klack und Singen wie von Metall auf Metall … nein, wie von Kunststoff auf Metall. Und dann – erklangen da nicht von irgendwoher Stimmen?
Es ist etwas anderes, ob man von der Schwärze der Wahrnehmungslosigkeit umgeben ist, oder ob man das Dunkel mit
Weitere Kostenlose Bücher