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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
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über die Bank, den ihr Sohn veröffentlicht hatte. Sie versuchte sich einzureden, dass es nicht Loyalität sei, um die es ihr ging. Doch sie fand kein anderes Wort. »Habe ich nicht ausreichend deutlich gemacht, dass ich nicht möchte, dass in unseren Angelegenheiten herumgeschnüffelt wird?«
    »Ich habe ihn nur gefragt, was er will.«
    »Herrgott, Thomas, bist du so naiv? Was soll er denn schon wollen? Eine Story will er! Skandale! Schmutzwäsche!«
    Thomas zeigte mit den Fingern die Zahl Drei an. Zunächst dachte sie, er wolle sich über sie lustig machen. Dann bemerkte sie aber, dass hinter ihr Ulla gestikulierte, um zu erfragen, wie viele Eier Thomas wollte. »Er hat erzählt«, sagte Thomas nun, »dass er Valeries Mutter im Flugzeug kennengelernt habe. Zufällig.«
    »Meine Güte«, sagte Helene und griff sich an die Stirn. »Und das hast du geglaubt?«
    »Darum geht es nicht. Gudvang hat mich auf etwas gebracht, worüber ich seitdem nachdenken muss.«
    »Ich wünschte, du hättest nicht mit ihm geredet, Thomas.«
    »In jeder Bank herrschen seit 2008 strengste Risikolimits und Eigenkapitalvorschriften. Wie kann es sein, dass Bernhard mit derartig hohen Summen spekulieren konnte? Entweder er konnte den Sicherheitsalarm umgehen, oder der Sicherheitsalarm war ausgeschaltet. Absichtlich.«
    »Ulla, kann ich doch ein wenig Müsli haben, bitte? Ich würde jetzt gern etwas frühstücken.«
    »Hörst du, was ich sage?«
    »Thomas, merkst du nicht, dass dieser Mensch es schon geschafft hat, Unfrieden zwischen uns zu stiften? Welchen Sinn sollte es denn haben, die Limits aufzuheben? Es ist doch ganz offensichtlich, dass Bernhard die Bank bestohlen hat.«
    »Vielleicht hat ihn aber auch irgendjemand unterstützt. Vielleicht aus dem Backoffice. Warum nicht? Bernhard spekuliert, die Sache geht schief, und bei dem Versuch, die Verluste abzufangen, reitet er sich immer weiter rein. Er bekommt Panik und haut ab.«
    »Das ist vollkommen absurd.«
    »Woher willst du das wissen? Du kennst die Bank nicht.«
    Ulla servierte das Müsli. Helene nahm den Löffel und begann zu essen.
    »Es könnte so gewesen sein«, sagte Thomas.
    Sie kaute.
    »Ich meine, wenn wir beweisen können, dass der Bankführung nichts vorzuwerfen ist …« Thomas ereiferte sich.
    Sie kaute.
    »Was haben wir denn eigentlich zu verlieren?«
    Sie legte den Löffel beiseite und bemühte sich, ihre Erregung zu verbergen. »Thomas, ich kann einfach nicht begreifen, dass du mit diesem Mann über unsere Familie geredet hast. Nach allem, was passiert ist. Ich bin sehr enttäuscht von dir!«
    »Kannst du das nicht auf sich beruhen lassen? Das ist fünfzehn Jahre her, und ich hatte meine Gründe. Das hier ist etwas völlig anderes!«
    An jenem Abend hatte sie mit Johann den »Ball der Wirtschaft« besucht, der jährlich vom Verein Berliner Kaufleute und Industrieller ausgerichtet wurde. Sie mochte solche Veranstaltungen. Es waren Gelegenheiten, sich als harmonisches Ehepaar zu präsentieren. Gewöhnlich tanzten sie sogar miteinander. Es war weder Annäherung noch Zumutung; die Bewegung, die Johann und sie sich gegenseitig ermöglichten, war Teil und Bedingung des allgemeinen Amüsements. In diesen Momenten hatten sie die Pflicht, sich nahe zu sein. Der Alkohol tat in der Regel sein Übriges.
    Der Abend war ruiniert gewesen, als Hans Werner Lobsch, der Verwalter eines Liegenschaftsfonds und alter Geschäftsfreund Johanns, von einem Artikel erzählte, den sein Sohn in einer Studentenzeitschrift entdeckt hatte. Es ging darin um die »Arisierung« jüdisch geführter Banken durch die Nationalsozialisten am Beispiel der Alberts-Bank. Ob Johann davon wisse? Es sei ein unschöner Artikel, verfasst in einem übermäßig gehässigen Tonfall.
    Weder sie noch Johann hatten von einem derartigen Artikel gehört. So etwas, entgegnete Johann leichthin, werde immer wieder behauptet. Es sei übrigens leicht zu entkräften. Er hob sein Glas: kein Grund, sich diesen wunderbaren Abend ruinieren zu lassen. Die Band spielte beschwingten Dixie, die Stimmung war außerordentlich gehoben. Der Maître hatte einen ganzen Thunfisch serviert und japanisches Sushi, was damals noch kein selbstverständlicher Bestandteil eines Büfetts war. Lobsch trat näher an sie beide heran.
    Den Artikel habe Thomas verfasst, sagte er. Ihr Sohn.
    Helene erinnerte sich, dass Johanns Augen sich zu Schlitzen verengt hatten. Aus irgendeinem Grund fühlte sie in diesem Augenblick, dass der Artikel nicht der einzige

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