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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
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Grund dafür gewesen war. Deshalb überraschte es sie nicht, dass Johann viel früher als sonst entschieden hatte, den Ball zu verlassen.
    Emmerlein, der beim Wagen gestanden und geraucht hatte, fuhr sogleich vor. Im Fond überwand Helene als Erste ihre Verstörung und mutmaßte ein Missverständnis. Johann schüttelte stumm den Kopf. Das gelbe Licht der Gaslampen erleuchtete zyklisch sein Gesicht.
    Seine Sprachlosigkeit verwunderte sie. Gewöhnlich beschwerte sich Johann hemmungslos über Fehlleistungen anderer. Er war dabei nicht unfair, aber nachtragend – wie sie wusste. Das hatte Johanns Ruf eines berechenbaren und verlässlichen Geschäftspartners bestärkt, bei dem man wisse, woran man sei. Dass er nun offenkundig unfähig war, seine Empörung zu äußern, verstärkte ihren Verdacht, dass diese nicht nur dem Artikel ihres Sohnes galt. Zumal die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden schon lange spürbar waren.
    Als sie im Haus waren, fragte sie: »Woher kann er das gewusst haben?«
    Er sah sie an. Da das nicht oft vorkam, wirkte der Blick länger und eindringlicher, als er gewesen sein mochte. Johanns Augen waren trübe vom Alkohol und von etwas, das sie nicht benennen konnte.
    »Was gewusst?«
    »Dass du den Rückführungsvertrag zwischen Loeb und deinem Vater in dem Prozess absichtlich zurückgehalten hast?«
    Als wüsste er, dass es keinen Zweck haben würde, es zu leugnen, zuckte er die Achseln. »Woher wusstest   du   es?«
    »Du hast es mir erzählt.«
    »Nein«, sagte er langsam. »Das habe ich nicht. Ich habe den Vertrag überhaupt nicht.«
    »Und wer hat ihn dann?«
    »Feldberg«, sagte Johann schwer atmend. »Feldberg hat ihn.«
    Inzwischen erfüllte der Geruch des Omeletts die Küche. Plötzlich stand wieder all das zwischen ihnen, worum es damals schon gegangen war. Thomas’ Stimme war lauter geworden. Er verteidigte sich.
    Unversehens stand Stefanie im Pyjama und mit zerzaustem Haar in der Tür. »Streitet ihr euch? Worüber?« Ohne sich um ihr Aussehen zu kümmern, setzte sie sich an den Tisch und sah sie und Thomas an. Diese uneitle Selbstverständlichkeit rührte Helene.
    »Nichts, Stefanie«, sagte Helene mit leichter Stimme. »Konntest du gut schlafen?«
    »Ja, ich hab … Oh, kann ich was davon haben?«
    Thomas schob ihr den Teller mit dem Omelett herüber, den Ulla eben vor ihm abgestellt hatte. »Nimm. Hab keinen Hunger mehr.«
    »Was ist denn los? Worüber redet ihr?«
    »Ich weiß auch nicht«, antwortete Thomas. »Über Bankgeheimnisse.«
    Helene hatte ihr Müsli beendet. Ihr missfiel die naive Überheblichkeit, mit der Thomas sich als unparteiischer Schiedsrichter gerierte. Nicht sie war es, die nichts über die Bank wusste. Sie sagte: »Ich möchte gern wissen, warum du schon den ganzen Morgen so aggressiv mir gegenüber bist. Der gestrige Tag war auch für mich schwer. Ich finde, wir haben im Moment alle ein bisschen Ruhe verdient.«
    »Ich bin nicht aggressiv. Ich kriege nur … was weiß ich. Ich bin seit einer Woche in diesem Haus.«
    »Hast du Termine?«, fragte Stefanie kauend.
    »Mein Auto steht noch in Italien.«
    »Was meine Frage jetzt nicht direkt beantwortet.«
    »Ich hab meine Beratungen ausgesetzt. Aber das kann nicht ewig so weitergehen. Ich muss auch mal wieder Geld verdienen.«
    »Ist es denn so schlimm, hier zu sein?« Als Helene die Frage gestellt hatte, bemerkte sie, dass das ganz automatisch geschehen war. Sie bereute sie. Sie wollte die Antwort nicht hören.
    »Alles in diesem Haus scheint einen anzuschreien: Frag nicht!«, sagte Thomas mit bebender Stimme.
    Seine Ausdrucksweise verletzte Helene. Sie blickte auf ihre Hände, nahm eine neue Zigarette aus ihrem Etui, zündete sie an. Ulla hinter ihr öffnete das zweite Fenster. Draußen zwitscherten Vögel.
    »Was ist denn, Ulla? Stört es dich, wenn ich hier rauche? Du kannst mir das ruhig sagen.«
    »Ich wollte nur«, begann Ulla und brach dann ab. Sie leerte den Aschenbecher und stellte ihn wieder auf den Tisch.
    »Was meinst du damit?«, fragte Stefanie Thomas; sie hatte sein Omelett bereits aufgegessen und den Teller von sich geschoben. Ihre Frage war offen und arglos; Helene konnte ihr das nicht vorwerfen.
    »Es erinnert mich einfach sehr daran, ich zu sein, wenn ich hier bin.«
    »Kannst du das mal so sagen, dass ich verstehe, was daran so schlimm ist?«
    »Nein, bedaure«, sagte Thomas.
    »Hat das was damit zu tun, dass du mit dem Therapieren aufgehört hast?«
    »Auch, aber

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