Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh

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würde, nicht ausgeliefert, aber hingegeben an –
    »Dann wusste ich aber plötzlich nicht, ob das, was ich posten wollte, nicht vor Kurzem schon jemand anderer gepostet hat, was ich aber vergessen hatte und dann fälschlicherweise für meinen eigenen Einfall hielt.«
    Und ob nicht das, was er für einen Helferkomplex hielt, in Wirklichkeit etwas völlig anderes war.
    »Dann habe ich gedacht, wenn ich nicht sicher bin, was ich gepostet habe und was nicht, bin ich wohl dabei, verrückt zu werden. Dann wollte ich das posten. Aber sofort hatte ich wieder dasselbe Problem, nämlich ich wusste nicht, ob ich das nicht schon mal gepostet habe und die Leute denken: ›Die wiederholt sich ja ständig‹, und ob die Leute dann nicht gerade dadurch , dass ich mich wiederhole , denken, dass ich verrückt bin, und gar nicht deswegen, weil ich geschrieben habe, dass ich denke , dass ich verrückt werde.«
    Ob nicht all seine vermeintliche Selbstlosigkeit in Wirklichkeit nichts als die bemäntelte Feigheit war, die ihn davon abhielt, jetzt ihren Hals zu berühren und die hervortretende Sehne zu küssen, atemlos bei dem Gedanken, im gemeinsamen Versinken vielleicht eine Antwort zu finden, und wenn schon keine Antwort, dann zumindest eine sinnvolle Frage, eine Vermutung, irgendwas. Ob nicht alles viel einfacher würde, wenn er sich gestattete, eine Wahrheit über sich zu empfinden, nur eine einzige.
    »Und so geht das immer weiter«, sagte Valerie.
    Ob er nicht einfach jenen archaischen Traum der Macht, dem er vor Jahren vermeintlich abgeschworen hatte, in einem anderen Schlaf zu Ende träumen wollte.
    »Ja«, sagte er. »Ich verstehe.« Vielleicht war es nicht mehr als ein gefälschter Beweis seiner Aufmerksamkeit, aber ihm war so, als hätte er tatsächlich verstanden. Nicht, was sie gesagt, sondern was er gedacht hatte. Als hätte er zum ersten Mal wirklich begriffen, dass er sich ebenso wenig auf sich selbst verlassen konnte wie sie.

9
    Die Siedlung zu finden, erwies sich als schwierig, da ihr Bau noch vor der Zuweisung von Straßennamen eingestellt worden war. Thomas wusste aus dem Prospekt lediglich, dass sie nahe der kleinen Ortschaft La Duquesa liegen musste und von der Autopista aus zu erreichen war. Im infrage kommenden Areal gab es allerdings mehrere Siedlungen, allesamt in unterschiedlichen Baustadien zurückgelassen. Schließlich entschieden sie sich für die am weitesten fertiggestellte von ihnen, deren Straßen aussahen wie in die dürre Erde gemalt. Auch sie trugen keine Namen, und ihr Zweck schien angesichts der allgemeinen Unfertigkeit verfehlt. Valerie neben ihm hielt den Prospekt hoch, wie um einen direkten Vergleich zwischen Original und Abbildung ziehen zu können.
    Es gab neben den Häusern nichts als Bauschutt und dürres Gras. Er fragte sich, wonach genau sie suchen sollten, denn die Häuser sahen allesamt gleich aus; vor vielen Fenstern waren zum Schutz des Glases die Jalousien heruntergelassen. Er fuhr einmal um die Siedlung herum und zuckte zusammen, als er in einer Seitenstraße ein parkendes Auto entdeckte, einen alten Golf mit Ladefläche und, wie er im Näherkommen sah, spanischem Kennzeichen. Er parkte den Mercedes auf der anderen Straßenseite und stieg mit Valerie aus.
    Der Wagen sah aus, als sei er lange Zeit nicht genutzt worden. Die Ladefläche war leer, bis auf einen unordentlich gerollten grünen Gartenschlauch, der, wie der Rest des Wagens auch, mit Staub bedeckt war. Die Häuserzeile lag still; vor den Eingängen trennte ein schmaler Graben die Häuser von ihren Zugängen. Es war vollkommen ruhig, bis auf das unregelmäßige Rauschen des Meeres in der Ferne.
    »Wir sollten hinten nachsehen«, sagte er, und die Worte klangen in dieser verlassenen Kulisse, die mehr an eine Filmstadt als an eine Siedlung erinnerte, wie eine auswendig gelernte Zeile. Sol Moscot nahm daran keinen Anstoß und verschwand in einem der Durchgänge neben den Häusern, die in die Innenhöfe führten. Thomas und Valerie folgten ihm.
    Auf Bernhards Anwesenheit deutete nichts hin. Sie durchstreiften die Höfe der Siedlung, die aneinandergrenzten und durch niedrige Umzäunungen parzelliert waren, Sol Moscot konnte sie mühelos überspringen. Hier und dort stießen sie auf Artefakte, die darauf hindeuteten, dass bis vor Kurzem Menschen hier gewesen waren: eine halb verrostete Schaufel, die an eine Hauswand gelehnt stand, eine Bierflasche, die als Aschenbecher benutzt worden war, junge Bäume, deren Stämme