Gibraltar
mit halb zerrissener Plastikfolie bedeckt waren. Aber wenn sie in eines der dunklen Fenster sahen, war jedes der Zimmer leer und unmöbliert, in vielen fehlten noch Türen und Lichtschalter; Stromleitungen wanden sich aus Löchern in der Wand.
Sie mochten gut eine halbe Stunde lang gesucht haben und waren beinahe wieder an ihrem Ausgangspunkt angelangt, als Sol Moscot unvermittelt den Kopf hob und in der Bewegung verharrte. Thomas und Valerie blieben stehen; ein Geräusch wie vom Zuklappen einer Autotür, zweimal. Der Hund leckte sich aufgeregt über die Schnauze. Thomas hörte eindeutig eine Stimme, ohne ausmachen zu können, was sie sagte. Sol Moscot schien auf ein Kommando zu warten, zum Lossprinten, zum Bellen, zu was auch immer; Thomas allerdings legte den Zeigefinger an die Lippen. Er sah, dass Valerie angefangen hatte zu zittern. Die Stimme war erneut zu hören, dazu, wenn sich Thomas nicht irrte, eine zweite. Sie waren laut und kräftig und klangen nicht, als sorgten sie sich um ihre Entdeckung.
Thomas bedeutete Valerie, langsam und vorsichtig weiterzugehen. Sie erreichten die Ecke des Hauses und konnten hören, dass die Stimmen von der Vorderseite her kamen. Thomas erkannte die Sprache vage als ein etwas entstelltes Französisch; und da es sich somit vermutlich nicht um Bernhard handelte, entfiel für ihn auch der Grund, sich wie ein Einbrecher im Verborgenen zu halten. Schließlich, auch wenn dies ein unwahrscheinlicher Gedanke war, konnte es sich bei diesen Leute um einfache Bewohner des Hauses handeln; noch ohne Nachbarn zwar und zweifellos wenig zu beneiden, aber doch legitime Bewohner eines Hauses, das ja genau zu diesem Zweck gebaut worden war.
Er bog um die Ecke, ohne Valerie vorzuwarnen, sodass diese reflexartig versuchte, ihn daran zu hindern. Da war es allerdings zu spät. In dem Durchgang stand ein schwarzer BMW X 5 mit Bad Homburger Kennzeichen. Ein kurzer Blick zu Valerie bestätigte ihm, dass sie dasselbe dachte wie er. Die Männer zu den Stimmen waren nicht zu sehen. Es sah aus, als wären sie wieder ins Haus gegangen, die Heckklappe des Wagens stand offen. Thomas ging langsam voran und vermied es, durch zögerliche Bewegungen den Eindruck zu erwecken, er versuche sich zu verbergen. Valerie dagegen, hinter ihm, hielt sich dicht an der Wand, als könnte sie im flachen Schatten, den diese spendete, verschwinden.
Als sie an dem Wagen vorübergingen, kamen zwei Männer aus dem Haus. Thomas dachte unwillkürlich, dass es Diebe sein mussten, obgleich es in den Häusern nichts zu holen gab. Ob dies auf das vielleicht später auszuwertende Vorurteil zurückging, dass die beiden als Dunkelhäutige nichts anderes sein konnten, oder ob es an ihren ertappten Gesichtern lag, vermochte er jetzt nicht zu beantworten. Als er zu der Frage ansetzte, was hier vor sich gehe, noch ohne entschieden zu haben, in welcher Sprache er sie vorbringen sollte, versetzte ihm der Vordere einen kräftigen Stoß, so dass er hinter sich gegen die Wand des Nachbarhauses prallte. Der Mann gab seinem Begleiter eine Anweisung, dann sprangen beide in den Wagen und schlossen die Türen.
Dann geschah eine Weile lang nichts. Thomas, der sich von dem Stoß schnell erholt hatte, stand regungslos da und sah zu, wie der Fahrer hinter dem Steuer sich vergeblich mühte, das Fahrzeug in Gang zu setzen. Er schien etwas zu suchen, schrie abwechselnd seinen Begleiter und Thomas durch das geschlossene Fenster an, doch niemand vermochte das Problem, welches es auch war, zu beheben. Schließlich schaffte er es, den Wagen in Gang zu bringen, fuhr aber noch immer nicht los. Sekunden verstrichen, ohne dass irgendein Ereignis die Starre, in der alle befangen waren, löste. Die leeren Sekunden ermöglichten es Thomas zum ersten Mal, darüber nachzudenken, was mit Bernhard sein mochte, und er fühlte sich gedrängt, zu irgendeiner entschlossenen Unternehmung anzusetzen; nur hatte er keine Ahnung, zu welcher.
Indessen versuchte Valerie, auf der anderen Seite des Wagens die Tür zu öffnen; der Beifahrer hielt sie allerdings mit beiden Händen von innen zu. Im Wagen war eine wütende Aufregung ausgebrochen, beide Männer schrien durcheinander. Schließlich, als sei dies die letztmögliche Lösung einer hoffnungslos verfahrenen Lage, öffnete der Fahrer die Tür einen Spalt und fragte Thomas auf Englisch: »Where’s the handbrake?« Und Thomas, als handelte es sich um eine gewöhnliche nachbarschaftliche Unterhaltung, antwortete, ohne
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