Gibraltar
nicht verdient hat, weil sie nicht nur kein Geld hat, sondern weil es auch keine Arbeit gibt, bei der die Leute mit ihrer Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit rechnen, denn diese und alle anderen Leute können ihre Probleme, wenn sie überhaupt Probleme haben, auch locker ohne dich lösen, Valerie, und nur um die Dinge einmal ganz klar auszusprechen, Valerie, ist es wahrscheinlich sogar so, dass du den Leuten nicht nur keine Hilfe bist, sondern ihnen sogar im Weg rumstehst, und obwohl du das super kannst, erfüllt das Im-Weg-Rumstehen leider keines der derzeit nachgefragten Jobprofile. Somit wäre alles, was du mit dem Becher Kaffee behaupten würdest, nichts als eine dreiste Lüge, du nutzlose Schlampe.
Denn in Wirklichkeit bleiben ihr in der Woche gerade mal 20 Euro zum Essen und Trinken inklusive Pflegeprodukte, wo jetzt schon wieder 2,79 Euro für Tampons draufgegangen sind, macht also 17,21 Euro, und da kann man dann Kartoffeln und Brot und das billigste Gemüse und vielleicht noch ein paar Äpfel von kaufen, aber das auch nur, wenn man dafür das Klopapier im Rathaus oder der Stadtbücherei mitgehen lässt. Ein Kaffee für einen Euro ist in der Bilanz einfach nicht vorgesehen, Kaffee kann man sich zu Hause kochen, was vielleicht eine gute Idee ist, Valerie, du besorgst dir einfach einen Pappbecher und brühst dir zu Hause Kaffee und nimmst ihn dann mit runter auf die Straße, das ist die Lösung für all deine Probleme, ganz super, aber jetzt gehst du mal langsam weiter, okay?
Sie brauchen – vielleicht wollen Sie sich das lieber aufschreiben – zunächst ein Antragsformular. Dem Antragsformular müssen Sie eine Kopie Ihres Personalausweises beilegen. Außerdem Ihre Sozialversicherungsnummer, Ihre Krankenversicherungsnummer, Ihren Mietvertrag, eine Verdienstbescheinigung Ihres letzten Arbeitgebers, die lückenlosen Kontoauszüge der letzten drei Monate, eine Bescheinigung über Ihre stationäre Unterbringung und einen Nachweis über den Heizkostenzuschuss, sofern Sie bisher einen Heizkostenzuschuss bezogen haben. Das sind die Unterlagen für das Jobcenter. Ich sage Ihnen das jetzt, obwohl es eigentlich nicht meine Aufgabe ist, ich bin nur für Ihre Schulden zuständig, okay? Okay. Hören Sie zu? Ich erzähle Ihnen jetzt, wie das abläuft. Ich brauche von Ihnen folgende Unterlagen: Rechnungen, Mahnungen, Ihren Schriftverkehr mit Inkassobüros und Anwälten. Alles, was Sie finden können. Öffnen Sie Ihre Post? Gut. Das ist nicht selbstverständlich, viele schmeißen ihre Post einfach weg. Das bringen Sie alles her, und dann sehe ich mir das an. Dann machen wir eine Aufstellung über Ihre Gläubiger und wer wie viel von Ihnen haben will. Dann rufe ich die Gläubiger an. Ich sage denen, dass Sie jetzt bei mir in der Beratung sind und dass die sich ihr Geld schon mal abschminken können. Dann schreien die mich erst mal an, aber ich bleibe ganz ruhig und halte den Hörer ein bisschen vom Ohr weg, so ungefähr. Es freut mich, dass Sie das komisch finden. Nachdem sich die Gläubiger wieder beruhigt haben, mache ich denen in Ihrem Namen einen Vorschlag. Was ist unser Vorschlag? Wir schlagen den Gläubigern vor, dass sie einen Teil ihres Geldes zurückbekommen. So was hören Gläubiger immer gerne. Jetzt fragen Sie sich sicher, welchen Teil ich meine. Also. Wir wenden uns an eine Stiftung, mit der wir oft zusammenarbeiten. Diese Stiftung unterstützt junge überschuldete Menschen mit psychischen Erkrankungen oder einem Drogenhintergrund. Das spielt jetzt keine Rolle, dass Sie keinen Drogenhintergrund haben. Ja, ich weiß, dass Sie keine Drogen nehmen, das ist auch gut so, aber die Stiftung hilft Ihnen trotzdem, immerhin haben Sie eine psychische Erkrankung. Eine psychische Erkrankung haben Sie doch wenigstens? Na, Gott sei Dank. Schon gut. Bei der Stiftung können wir ein zinsfreies Darlehen beantragen, mit dem wir die Gläubiger auszahlen. Sie können das Darlehen innerhalb von zwei Jahren mit einer niedrigen Rate zurückzahlen. Zinsfrei, wie gesagt. Die Höhe der Rate hängt von Ihrer Schuldenquote ab. Je höher Ihre Schuldenquote, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass die Gläubiger auf das Angebot einsteigen, desto höher aber auch Ihre monatliche Belastung. Verstanden? Ich weiß, beim ersten Mal klingt das sehr kompliziert. Ich schreibe Ihnen das alles noch mal auf. Ja, ich weiß, dass Sie keine Drogen nehmen.
Die Stiftung ist jedenfalls sehr kulant. Wenn Sie mal eine Rate nicht bezahlen können,
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