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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
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auch genauso bewegt. Jetzt bemerkt sie plötzlich, dass sie schon oben angekommen ist und gar nicht mehr über Falb nachdenken muss, weil sie vor ihm steht. Sebastian, den alle nur Stuttgart nennen, weil er aus Stuttgart kommt und alle das dann irgendwie witzig finden, Stuttgart-Sebastian sagt jedenfalls zu ihr, dass sie im Moment erst mal einen »Cut« machen müssten mit ihrer Arbeit, weil wegen Wirtschaftskrise, weil wegen Auftragslage, weil wegen Geld und so. Und Valerie versteht natürlich alles, was Stuttgart zu ihr sagt, sie ist ja nicht blöd, aber sie weiß trotzdem nicht, wie sie jetzt darauf reagieren soll. Da sitzt was in ihrem Hals und rutscht in ihren Brustkorb, riesengroß, und sie kann da erst mal gar nichts zu sagen, beziehungsweise was ihr einfällt, hat überhaupt nichts mit der Sache als solcher zu tun, sondern damit, »warum mir denn da unten gesagt wird, ich soll mal hochkommen, weil der Armin mir was sagen will, und dann sagt der Armin mir das aber gar nicht selber, sondern du, ich meine, da hätte mir doch auch gleich der Nils das unten schon sagen können«, und weil ihr schon oft gesagt wurde, sie solle sich nicht alles gefallen lassen, lässt sie sich das jetzt nicht gefallen. Daraus wird schnell eine irgendwie unübersichtliche Diskussion mit Stuttgart, und sie regt sich ziemlich auf, und Stuttgart regt sich auch ziemlich auf, und irgendwann kommt Armin herangeschlurft und sagt:   Ey sorry, aber was fährst du jetzt eigentlich für einen Film , dann gibt noch ein Wort das andere, und dann ist sie draußen. Auch wenn sie vielleicht zwei Tätowierungen zu viel hat, um als völlig intakte junge Frau ohne jedes Problem durchzugehen, sollte man so nicht mit ihr reden, und deswegen kümmert sie sich nicht um Nils, der halbherzig hinter ihr herdackelt und wieder mal nichts für sie getan hat.   Weglaufen, das kannst du ja so gut, Valerie , den ganzen Weg lang wird sie diese höhnische Stimme nicht loswerden, das steht jetzt schon fest. Komisch nur, dass die Stimme nicht ganz die von Nils ist, und komisch auch, dass die Stimme immer neben ihr ist und kein bisschen außer Atem zu sein scheint, während sie selbst vollkommen außer Puste ist und sich fast erbrechen muss vor lauter Erschöpfung, immerhin ist sie, wie sie jetzt feststellt, den ganzen Weg gerannt.
    Es ist früher Abend, die Märzsonne geht langsam unter am westlichen Ende des Landwehrkanals, und der Wind bläht ihre Jacke auf und kühlt ihren verschwitzten Rücken. Scheiße, sagt sie, und sie möchte mit dem Fuß aufstampfen wie ein Kind, um dieses Gefühl loszuwerden, Wut und Traurigkeit vermischt mit irgendwas ohne Namen, wobei die Wut genau genommen aus Wut auf die anderen (Armin 1%, Stuttgart 1% und Nils den Rest auf Hundert) und Wut auf sich selbst (ebenfalls 100%) zusammensetzt, aber warum eigentlich Wut auf dich selbst, Valerie?, und sie sagt sich (oder es wird gesagt), dass sie sich das nur selbst zuzuschreiben hat, weil sie vielleicht einfach nicht gut genug gepinselt hat. Und dann wiederum sagt sie sich, während sie am Kanal entlang Richtung Neukölln geht, dass sie sich nicht so einen Unsinn einreden soll, aber sie muss trotzdem weiter heulen. Da sind ein paar Enten, die würde sie gern füttern, aber natürlich hat man kein Brot dabei, wenn man gerade welches braucht.
    Aus den Heizungsrohren, die in ihrer Wohnung über der Wand verlaufen, kommen Stimmen. Das könnte praktisch sein, besonders wenn man sich den Strom fürs Radio sparen will und die Stimmen spaßiges Zeug erzählen würden. Leider erzählen die Stimmen nur sehr selten spaßiges Zeug. Es ist früh am Morgen, aber die Stimmen klingen jetzt schon wütend. Sie klingen wütend und blechern und heiser, als würde jemand übertrieben laut in eine leere Konservendose kotzen, und Valerie kann weder verstehen, worüber sie wütend sind, noch was sie sagen, sie weiß nur, dass ihr die Stimmen Angst machen, sie klingen, als sei da jemand am anderen Ende vom Teufel besessen, auch wenn sie trotz allem immer überzeugt war, dass dieser ganze Exorzismus-Quatsch eine Erfindung der Kirche oder des Fernsehens ist. Trotzdem machen ihr die geifernden Stimmen in den Heizungsrohren Angst, und Angst ist noch untertrieben. Es geht bestimmt eine halbe Stunde lang so, dass sie in der Küche sitzt und ein bisschen friert, weil die Heizung nicht an ist, dann kommt sie auf die Idee, die Heizung aufzudrehen, damit es den Stimmen vielleicht zu warm wird und sie verschwinden, und sie tut

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